Kolumne #embracethechaos von Simone über verpackte Erinnerungen

Boxen statt Kirtan & Kakao.

Simone versinkt im Chaos, ist kurz davor in den Boxclub einzutreten und fragt sich, wohin mit all den Erinnerungen an ein altes Leben. Wegboxen? Konservieren? Abstreifen oder doch besser Kakao trinken?

Ich laufe durchs Viertel und sehe die Bäume, die Straße, den Laden, ein bekanntes Gesicht. Das Gute ist, wir müssen uns gar nicht groß einleben, wir waren hier schon mal. Zurückkommen fühlt sich in dem Fall gut an.

Vieles ist vertraut, anderes ist weg, ein paar Sachen neu, es ist nicht so ganz abgenutzt und auch nicht so neu, dass es schwerfällt. Vertrautes Neusein, wenn man ein Wort dafür finden müsste.

Das beschreibt auch gut unseren Zustand.
„Ach, ihr seid die Neuen? Ja, schön, dann zieht ihr hier zu dritt ein?“
„Nein, es sind nur wir beide.“
Ich nehme mir vor, dass „nur“ schon mal zu streichen. Ich finde, wir beide zählen für drei, auch was die Intensität angeht.

Wohin mit den vielen Bildern?

Es gibt viele Erinnerungen. Hier kommen sie mit voller Wucht zurück. Der Park als das Kind klein war, die Spaziergänge mit Kinderwagen, die Wohnung nach 2 Jahren Ausland. Die Schwangeren-WG mit Sabine. Die Restaurantbesuche. Alles.

Wohin mit alldem? Mit den Bildern, die man in Kisten und im Kopf oder an Straßenecken findet? Wohin mit dem alten Leben?

Schon beim Packen hat es sich so angefühlt, als würde man ein 10-jähriges Leben in Kisten packen. Was davon nimmt man mit, was bleibt?

Was können wir abstreifen wie ein Sommerkleid und was bleibt einfach an uns haften, ob wir wollen oder nicht?

Die Aura reinigen …

Ich stehe beim Yoga und reinige meine Aura, mein Energiefeld. Das sagt zumindest die Lehrerin. Vorne, hinten, seitlich – einfach mit den Händen abstreifen. Dreimal hintereinander. Man soll das, was im äußeren Energiefeld liegt, nicht mitnehmen. Zu Deutsch: Die Scheiße mit den Händen abschröpfen. Ich wäre manchmal dafür, dass wir auch im Yoga so sprechen, wie im echten Leben.

Und ich sage mir: Simone, mit so zwei bis drei Mal vorne und hinten abstreifen, ist das hier nicht getan.

Das Kind steht auf dem Balkon und ruft der Nachbarin zu. „Hallo, ich wohne jetzt hier“, während ich das erste Mal die Wäsche in der Küche aufhänge. Schon nach 2 Tagen fühle ich mich in der Wohnung mit den hohen Decken und der schönen Wohnküche sehr wohl.

Irgendwie geht alles ganz schnell mit dem Einzug. Männer wuchten einen Pax-Schrank durch ein Fenster. Ich stehe daneben, als könnte ich im Notfall irgendwas tun und den Pax-Schrank auf dem kleinen Finger balancieren. Zack, ist alles eingeräumt, nochmal zack sind alle Kartons weg. Die Schnelligkeit, die ich mir und meinem Leben abverlange und das schon seit einiger Zeit, zeigt hier ihre guten Seiten.

Wann wird es wieder langsam? Oder auch, wann wird dieses Leben auch mal langweilig? Woher kommt diese dauernde Anstrengung?

„Vielleicht wäre Kirtan & Kakao was, Simone?“, sagt eine Freundin. „Das ist immer so schön.“
„Wunderbar ist das, aber mir ist eher nach Boxen. Ich glaube, ein Kakao wird es nicht richten.“

Wir lachen. Vielleicht erst boxen, dann Erinnerungen sortieren, dann Kirtan und Kakao. Wer weiß. Eins nach dem anderen. Kann ich nur so schlecht, ich bin ein „Alles-auf-einmal“-Typ.

Meine Freunde

Mein Freund Stefan hängt beim Einzug aus dem Fenster und flötet mir zu, er habe schon mal die Fenster geputzt, meine Freundin Sinah erklärt mir, dass der Kühlschrank nach liegendem Transport erstmal 24 Stunden braucht, bis er angeschlossen werden darf. Ich hab die schlausten Freunde!

Meine Freundin Anna räumt die Küche ein und bringt ein Olivenbäumchen, Sabine hält aus der Ferne die Stellung, eine andere Sabine nimmt das Kind und stapelt meine Bücher.

Susanne hat wie immer die besten Ratschläge und bringt einen Tag vor Umzug nochmal richtig Ordnung ins Chaos, Ina heizt den Umzugsmännern ordentlich ein und meine Schwester putzt und bringt ihren handwerklich begabt-wendigen Partner mit, der mir nicht nur alle Lampen aufhängt, sondern auch die Waschmaschine in das dafür vorgesehene Loch in meiner Küchenzeile ballert.

Eine Mutter ohne Waschmaschine ist ja wie eine Frittenbude ohne Fritösenfett. Falls ihr das nicht wusstet.

Wer sind wir ohne Erinnerungen?

… schießt es mit in den Kopf. Wer wäre ich ohne diese helfenden Menschen und Hände? Auch mit diesen Menschen verbinden mich Erinnerungen. Manche kennen mich, seit ich klein bin, andere begleiten mich erst seit ich Mutter bin. Gestritten habe ich auch mit ihnen, verlassen haben sie mich nicht.

Ohne Erinnerungen sind wir nichts. Und wie immer im Leben gibt es eben nicht nur die schönen Erinnerungen, es gibt auch die, die wehtun. Die, die wir erstmal wegschieben wollen.

Aber wenn ich eines weiß, dann dass alles, was wir zurückdrängen mit voller Kraft nach oben will.

Ich will es ansehen und ich will verstehen, damit ich mich verstehe, ein bisschen was von dem begreife und in irgendwas Gutes verwandeln kann.

Also heißt es, Emotionen und auch Erinnerungen aushalten. Den Ist-Zustand wahrnehmen und nicht vor sich selbst weglaufen, sich um sich selbst kümmern, damit man sich gut um andere kümmern kann. Alles zulassen und sich nicht davon auffressen lassen.

Konserviert und archiviert, ich hab’s gespeichert
Paraphiert und nummeriert, damit ich’s leicht hab‘
Wenn die Erinnerung auch langsam verschwindet
Weiß ich immerhin genau, wo man sie findet

Vielleicht halte ich es mit Sido und hoffe, dass sie langsam verschwindet, die Erinnerung an das alte Leben.

Und das ich sie irgendwann wieder auspacke, dankbar für die Learnings, weise und weich. Mit Boxhandschuhen in der rechten und einem Kakao in der linken Hand, Kirtan im Ohr, ein Lächeln auf dem Gesicht.


Titelbild@ Anna-Lena Duschl


Kategorien Kolumne

Simone ist Mama eines kleinen Jungen, leidenschaftliche Yoga- und Meditationslehrerin, Podcast-Gastgeberin, freie Autorin und PR-Beraterin und ihre große Liebe ist das Schreiben. Sie ist verantwortlich für alle Inhalte und Texte bei PersonalityMag.

0 Kommentare zu “Boxen statt Kirtan & Kakao.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert