Let’s talk about Love, baby – Wir haben mit der Paartherapeutin Dr. Sharon Brehm, dem Autor und Gründer der Modern Love School Eric Hegmann und der Gründerin von Mothers Finest Kerstin Seidl gesprochen.
Liebe ist ein großes und ein lebenslanges Thema. Wie gelingt sie, die Liebe zu anderen Menschen? Wie schaffen wir es, eine tiefe und ehrliche Bindung einzugehen und Nähe zuzulassen? Und wie können wir uns mehr in Nächstenliebe üben? Ist das alles eine Sache der Übung oder sind wir einfach die „Generation Beziehungsunfähig“, wie der Autor Michael Nast in seinem Buch titelt? Fragen über Fragen und da ich wahrlich keine Expertin in Sachen Liebe bin, sondern viel übe, haben wir natürlich wieder ExpertInnen befragt und teilen unsere Einsichten mit euch.
Dr. Sharon Brehm – die Love-Coachin
Dr. Sharon Brehm ist Kulturanthroplogin, Love-Coach und systemische Coachin – sie begleitet Menschen bei Einbeziehungsthemen, bei der Suche nach Liebe, bei Konflikthemen und friedlicher Trennung. Oft geht es darum die eigenen Streitmuster zu verstehen, zu lernen wie wir uns emotional regulieren oder auch wie wir in Beziehungen verhandeln können. Ich liebe den Titel Love-Coach und stelle mit dabei ein nacktes Pärchen auf einem Schafsfell vor, dass von einer Coaching-Frau angeleitet wird. Blühende Phantasie, denn darum geht’s natürlich nicht. Beziehung und Liebe waren übrigens schon immer ein wichtiges Thema für Sharon. Irgendwann hat sie sich dann zur Paartherapeutin ausbilden lassen.
Ich frage sie meine Lieblingsfrage in diesem Monat: Was brauchen wir für stabile und glückliche Beziehungen? Sharon sagt glasklar: „Es gibt kein einfaches Rezept oder einen Fünf-Punkte-Plan, denn Menschen sind komplex und wir verändern uns jeden Tag. Für jeden von uns bedeutet eine stabile und glückliche Beziehung etwas anderes.“ Sie erklärt mir, dass wir uns, wenn wir uns in ein Bild einer Beziehung oder Person verlieben, oft auch entfremden. Es geht vielmehr darum, die Neugierde an der anderen Person aufrecht zu erhalten. „Wann bin ich wirklich bei meinem Partner und nicht in einer Projektion – wann kann ich präsent wahrnehmen?“ Besonders wichtig findet sie auch die Fähigkeit, nicht alles persönlich zu nehmen.
„Liebe ist auf keinen Fall ein Strauß Blumen oder ein romantisches Zusammenkommen. Es ist ein Verb, eine Fähigkeit, ja sogar eine Kunst.“
Dr. Sharon Brehm
Liebe ist ein bisschen wie Zeichnen
Sharon vergleicht es mit dem Zeichnen – so ist auch die Liebe eine komplexe Fähigkeit, in der wir lernen müssen auf die andere Person zuzugehen, uns selbst zu regulieren, zu verzeihen und es auszuhalten, wenn jemand anders ist. Die größten Herausforderungen mit dem Thema Liebe hängen auch mit einem falschen Bild zusammen, dass uns im Außen vermittelt wird: „Wir denken, dass alles von Anfang an funktionieren müsste – der Sex, das Leben und alles andere auch.“ Wenn wir also glauben, dass Liebe keine Arbeit braucht, nehmen wir uns auch die Chance gemeinsam auf eine Reise zu gehen. „Wir halten uns daran fest, weil wir in allen anderen Bereichen so viel leisten müssen. Darum wünschen wir uns, dass Beziehungen leicht sind. Beziehungen müssen nicht schwer sein, aber sie brauchen Pflege und Zuwendung – damit die Beziehung lebt.“
Was ist eigentlich „flooding“?
Ich finde ja, dass gerade die aktuelle Zeit für Paare sehr herausfordernd ist. Sharon erklärt: „Das liegt daran, dass alte Strategien auf einmal nicht mehr funktionieren Und eine gesamtgesellschaftliche Krise fühlt sich beim Einzelnen oft auch so an, als wäre alles zu viel.“ Was können wir also tun, wenn die Fetzen fliegen? Sharon erklärt mir, dass wir auch ins sogenannte „flooding“ geraten – wir werden von unseren Emotionen „überflutet“. Dann hilft es raus zu gehen, Sport zu treiben, einmal los zu lassen. „Auch ein Perspektivwechsel kann gut tun. Einmal darin eintauchen, was der andere denkt und fühlt. Denn wer richtig gut streiten kann, kann mit einem Konflikt auch lernen in die Tiefe zu gehen.“
Kennt ihr das? Wenn wir in einer Beziehung viel Liebe spüren, dann fällt es uns viel leichter Fehler oder Meinungen anderer zu akzeptieren. Die Love Coachin kennt das auch: „Nächstenliebe wird leichter, wenn wir mehr Mut haben den ersten Schritt zu gehen, großzügig sind und uns daran erinnern, wer wir selbst sein möchten. Wir alle wollen doch eine Welt, in der wir uns liebevoll begegnen und großzügig miteinander sind. Auf positive Interaktion folgt immer etwas Positives.“ Die Paartherapeutin und Podcasterin arbeitet übrigens gerade an ihrem ersten Buch „Smart Loving“ – ein Buch für Menschen, die schon mal geliebt haben und noch immer die Liebe suchen. Und wer so schöne Sachen sagt, kommt natürlich bald in unseren Podcast Personality Talks.
Eric Hegmann & die Widersprüche der Liebe
Eric Hegmann ist Paartherapeut, Single- und Beziehungs-Coach, Gründer der Modern Love School, Chefredakteur des Magazins beziehungsweise-magazin.de und Moderator der SAT 1-Show „Nächste Ausfahrt Liebe“. Er kennt sich bestens aus in Sachen Bindungsverhalten und Beziehungskonflikt und hat in seiner Hamburger Praxis schon unzähligen Paaren weitergeholfen. Für ihn ist Liebe etwas Wundervolles, was wir schwer in Worte fassen können. Er nutzt das Bild von John Bowlby, dem Pionier der Bindungsforschung: „Eine glückliche Beziehung ist wie der sichere Hafen, von dem aus wir die Welt erkunden können.“ Damit spricht er auch direkt die beiden Widersprüche der Liebe, nach Geborgenheit und Nähe auf der einen, und Autonomie und Selbstbestimmung auf der anderen Seite, an. „Liebe ist das, was aus der Erfahrung und aus jedem Konflikt heraus erwächst.“
Auch Eric glaubt, dass es kein Geheimrezept in Sachen Liebe gibt: „Wenn ich aber eine Sache nennen müsste, dann wäre es Freundlichkeit und zugewandte Kommunikation – das sorgt dafür, dass sich beide sicher fühlen und die Entwicklungsmöglichkeiten sind unendlich.“ Laut dem Hamburger Paartherapeuten gibt es viele Missverständnisse in der Liebe. Das Größte: Wir glauben, dass wir eine besonders fancy Kennenlerngeschichte brauchen, die es wert ist zusammen zu bleiben. Hinzu kommt die „Disneyfizierung der Liebe“, die durch Filme, Serien und Medien entsteht. Es geht also auch darum zu lernen, dass die Liebe eben nicht so verläuft, wie im Film oder nicht so ist, wie wir es uns in unseren Köpfen vorstellen.
Die realistische Liebe – üben, üben, üben
Ich bin überrascht als Eric mir erklärt, dass Liebe von tiefer Freundschaft getragen wird. „Freundschaft ist ein wichtiges Bindeglied. Denn in den Momenten, in denen die Schmetterlinge im Bauch weg oder nicht mehr so stark sind und man aneinander gerät, ist Freundschaft wichtig, denn sie hat viel mit gegenseitigem Respekt zu tun.“
„Die perfekte Ehe ist Freundschaft und Sex zusammen.“
Eric Hegmann
Spannend ist auch Erics Weit- und Rückblick in Sachen Liebe. „Früher haben Männer und Frauen in den Ehen nicht viel Zeit miteinander verbracht – die Erwartungen, die wir heute an Liebe stellen sind hoch und sie sind neu. Wir müssen also genau das, was wir uns eigentlich wünschen, auch erst mal üben. Früher und auch heute sollte eine Beziehung Sicherheit geben. Damals war es die Sicherheit der Versorgung, der Wirtschaftsgemeinschaft und heute ist es die Liebe, die uns Sicherheit geben soll. Bis zu 150 Jahren war aber Liebe das Risiko Nummer 1 in einer Ehe.“
Emotionale Themen lösen
Die Angst vor Trennung und Verlust kommt laut Eric auch daher, dass wir bereits sehr viele Trennungs- und Verlusterfahrungen gemacht haben. Mehr als die Generationen vor uns, weil wir auch mehr Beziehungen und Verbindungen haben als jemals zuvor. In Beziehungen ist es außerdem wichtig, dass wir uns nicht dauernd an Sachthemen abarbeiten, wie der Socke auf dem Boden. Es geht vielmehr darum zu schauen, was macht es mit mir, wenn ich jeden Tag diese Socke aufheben muss?
Eric erklärt mir: „Wir können emotionale Themen nicht auf der Sachebene lösen und fast alle Paarkonflikte entstehen nun mal auf der Emotions- und Verbindungsebene.“ Der Satz von früher, „Sei nicht so emotional und komm wieder, wenn du dich beruhigt hast“, macht laut Eric keinen Sinn und ist schlichtweg falsch. Er empfiehlt vielmehr, dass wir offen darüber sprechen sollten, welche Bedürfnisse erfüllt werden wollen.
Kerstin Seidl – alle Facetten von Liebe
Eine, die jahrelang ihre eigenen Bedürfnisse hinten angestellt hat, ist die Münchnerin Kerstin Seidl. Für die Mutter von fünf Kindern und Gründerin von Mothers Finest, einem Speisenlieferdienst für Mütter und Familien, liegen Trauer und Liebe sehr nah zusammen.
Ihre größte Sorge war lange, wie die eigenen Söhne sich fühlen. Ihr erster Mann starb, als die Kinder neun und elf Jahre alt waren. Diesen Schmerz auszuhalten, dass die Kinder ihren Vater vermissen, war lange eine Beeinträchtigung des unbeschwert Seins für sie:
„Ich war lange überfordert und wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte, dass wir alle eine Liebe verloren hatten.“
Kerstin Seidl
Als Kerstin 46 Jahre alt war, hatte sie zwei trauernde Kinder, eine Patchwork-Familie und zusammen mit ihrem neuen Partner ein Kind mit besonderen Bedürfnissen und der Diagnose Trisomie 21. „In dieser Zeit war klar, ohne Liebe geht überhaupt nichts. Es war die größte spirituelle Aufgabe mein Ego einfach komplett hinten anzustellen. Es war, als hätte man mir übermächtige Kräfte geschenkt. Das Geschenk dafür ist eine große Dankbarkeit.“
Kerstin sagt sehr klar, dass man Trauer und Liebe gleichzeitig fühlen kann. „Du kannst zwei unterschiedliche Gefühle in der gleichen Sekunde fühlen.“ Wenn sie ihren Mann mit ihrem Sohn Eliah sieht, empfindet sie großes Glück und gleichzeitig kommt eine Trauer, eine Wehmut, dass die anderen beiden Söhne genau das nicht haben konnten. „Es ist ein ambivalentes Gefühl, aber Liebe und Dankbarkeit überwiegen.“
Bedingungslose Liebe
Welche Liebe vermittelt ein Kind mit besonderen Bedürfnissen? Der Begriff bedingungslose Liebe war einer, den die Untrnehmerin schon früher gut fand. Warum gibt es tausend Dinge im Außen, die uns verbieten zu lieben? „Eliah liebt bedingungslos, er hat keine Vorurteile oder Einschränkungen. Seine Aura ist: Es ist schön, dass es euch und mich gibt. Durch ihn habe ich gelernt ebenfalls bedingungslos zu lieben.“ Alles was mir ihrem Sohn zu tun hat, ist jeden Tag Hingabe und genau diese gelingt ihr dadurch auch mit anderen Menschen. „Ich habe dadurch einfach aufgehört Dinge anders haben zu wollen. Liebe fließt, wenn du in dir bereit dazu bist, den anderen anzunehmen, so wie er ist.“
Alles was sie erlebt hat, jedes Tief, jede Herausforderung, so sagt sie, hat sie zu einem glücklicheren Menschen gemacht: „Wir alle bekommen genau die Kraft, die wir brauchen.“
Partnerschaften brauchen für Kerstin eine gemeinsame tiefe Liebe und den Benefit zu spüren, wir fühlen uns gut miteinander. „Auch wenn das bei uns in den ersten Jahren hinten runter fiel, mit Patchwork und einem Kind mit vielen Bedürfnissen, wir waren weit entfernt von der Rama-Frühstücksfamilie. Aber die Liebe für den anderen hat uns gerettet. Auch nach Gedanken der Trennung war am Ende klar, es wäre schade, weil wir schon so viel miteinander geschafft haben.“ Wenn von beiden Seiten der Wunsch da ist, es zu schaffen, dann lohnt es sich, gemeinsam daran zu arbeiten. Es ist schön zu hören, wenn Sie am Ende von dem Bild spricht, dass sie mit ihrem Mann auf einer Bank sitzt und zurückschaut, was sie alles gemeinsam geschafft haben. Sie sagt:
„Umso länger die Beziehung geht, umso spaßiger wird es doch!“
Kerstin Seidl
Wir danken Dr. Sharon Brehm, Eric Hegmann und Kerstin Seidl sehr. Sharon mit ihrer besonders feinfühligen Art, die wir bereits in einem kurzen Gespräch fühlen konnten. Eric Hegmann, den wir euch in Sachen Paartherapie nur ans Herz legen können, weil er das Thema mit viel Wissen, Freude und Liebe vermittelt und Kerstin Seidl, die für uns einfach die Personifizierung von Liebe in allen Facetten ist und der wir sehr dankbar sind, dass Sie ihre Erfahrungen so offen mit uns teilt.
Bild Eric Hegmann @ Inga Sommer
Bild Sharon Brehm @Julie Zimmermann
Bild Kerstin Seidl @mothersfinest
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