Wie können wir in Deutschland darauf achten fairer und nachhaltiger einzukaufen? Hannah arbeitet für Fairtrade Deutschland und hat faire Produktionsstätten in Indien besucht. Im Artikel gibt Sie uns einen Einblick, wie faire Textilproduktion aussehen kann
Als 2013 die Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesch einstürzte und Tausende Menschen unter sich begrub, war ich 22 und mitten im Germanistikstudium. Ich erinnere mich noch an die Bilder, die kurz nach dem Unglück um die Welt gingen: von Menschen, die zum Teil nur in Flipflops über Stein und Schutt kletterten und nach Überlebenden suchten; von verzweifelten Frauen, die Fotos ihrer Angehörigen hochhielten und Konsequenzen für die Verantwortlichen forderten. Weltweit berichteten Medien über mangelnde Sicherheitsstandards, unerträglich lange Arbeitstage und Billiglöhne in Asiens Textilindustrie. Ich war fassungslos und berührt. Bereit, Fast Fashion-Unternehmen wie Zara, H&M und Co. den Rücken zu kehren, war ich trotzdem nicht.
Heute, knapp acht Jahre später, ist das anders. Sicher, weil ich keine Studentin mehr bin und mir faire Produkte leisten kann. Denn seien wir ehrlich: Fair Fashion hat seinen Preis. Vor allem aber, weil ich gesehen habe, wie Textilien hergestellt werden und wie viele Menschen von der Industrie abhängig sind.
Eine Reise nach „T-Shirt-City“
Tiruppur im indischen Bundesstaat Tamil Nadu. Die Stadt ist ein wichtiger Produktionsstandort für Knitwear: kurz Jerseys aller Art, vor allem T-Shirts. An den Hauptstraßen reiht sich eine Textilfabrik an die andere. Oft sind es erstaunlich kleine unscheinbare Gebäude. Hinweisschilder auf Unternehmen, die hier produzieren lassen, sucht man vergebens. In die Fabriken hereinzukommen ist nicht einfach. Wird man eingelassen, dann nur in die vorzeigbaren Produktionsstätten und in Begleitung. In der Regel lässt sich allerdings schon vor der Fabrik erahnen, ob es sich um einen guten Arbeitgeber handelt oder nicht. Je mehr Motorräder dort parken, desto besser der Lohn. Sind die Gehälter niedrig, nutzen die meisten Beschäftigten öffentliche Transportmittel oder den fabrikeigenen Shuttleservice, der sie zur Arbeit bringt.
Nächstes Ziel: Living Wages
Vor der Textilfabrik von Ganesh Anantharaman und seinem Bruder Sankara Narayanan stehen vergleichsweise viele Motorräder. 2005 gründen die beiden Brüder Sags Apparels. Ihre Mission: die nachhaltigste Textilfabrik Indiens zu bauen. Anfang 2020 eröffnen sie die „green Factory“ – eine Fabrik, die größtenteils aus erneuerbaren Energien betrieben wird. Zusätzlich setzen sie auf faire Produktionsbedingungen. Seit September ist die Fabrik offiziell nach dem Fairtrade-Textilstandard zertifiziert. Arbeiter*innen profitieren neben Trainingsangeboten und Sicherheitsstandards in erster Linie von höheren Löhnen. Innerhalb von sechs Jahren müssen alle ein sogenanntes living wage, einen existenzsichernden Lohn, erhalten. Sprich einen Lohn, der weit über Mindestlohnniveau liegt.
Auch Amit Narke, Gründer und CEO von Purecotz Eco Lifestyle ist diesen Schritt 2020 gegangen. Seine Fabrik liegt in Umargarm im Bundesstaat Gujarat, etwa vier bis fünf Autostunden von Mumbai entfernt. Zu seinen Kund*innen gehört das Kasseler Fair Fashion Unternehmen Melawear. Verarbeitet wird ausschließlich Fairtrade- und GOTS-zertifizierte Bio-Baumwolle.
Nachhaltigkeit und Wachstum – ein Widerspruch?
Dass Nachhaltigkeit für Amit Narke kein Geschäftsmodell, sondern eine Lebenseinstellung ist, wird spätestens bei einem Besuch auf seiner Bio-Farm deutlich. Mitten im Nirgendwo empfängt er Geschäftspartner*innen aus aller Welt – selbst Nachhaltigkeits-Queen und Unternehmerin Madeleine Darya Alizadeh (Dariadéh) war hier schon zu Besuch. Über einen unebenen gepflasterten Weg erreicht man das Gästehaus, das inmitten von Guavenbäumen und anderen tropischen Pflanzen steht. Abgesehen von der beeindruckenden Natur ist die Anlage einfach: Das Bad ist grün-braun gefliest und in die Jahre gekommen, das Inventar zusammengewürfelt. Ich ertappe mich bei dem Gedanken, dass man viel aus Haus und Grundstück machen könnte. Dabei geht es darum gar nicht: Die Farm symbolisiert den Einklang von Mensch und Natur, so wie Amit Narkes Vorstellung einer nachhaltigen Textilproduktion.
Je größer der Betrieb, desto weniger Flexibilität
Ein Konzept, das aufgeht: Mittlerweile arbeiten rund 1000 Beschäftigte in den insgesamt zwei Produktionsstätten. Die hohen Qualitätsansprüche und der faire Umgang mit Arbeiter*innen und Umwelt kommen an. So gut, dass einige Unternehmen gerne mehr produzieren lassen würden. Doch darin sieht Narke einen Widerspruch: 500 Nähmaschinen könne er ohne Probleme auslasten. Je größer der Betrieb werde, desto größer auch das finanzielle Risiko. Man verliere Flexibilität, so der Geschäftsführer. Bei 2000 Nähmaschinen sei die Gefahr groß, dass diese nicht zu jeder Zeit ausgelastet werden könnten. Um Kosten einzusparen, müsse er Löhne senken oder auf nachhaltige Fasern verzichten. Ein Kompromiss, der für den Vater zweier Töchter nicht infrage kommt.
“Buy less, choose well, make it last”
Wie Amit Narke denken nicht viele Unternehmer*innen. Die meisten setzen auf Gewinnmaximierung, egal zu welchem Preis. Dabei schließen sich Nachhaltigkeit und Profitabilität nicht aus, im Gegenteil. Wer ressourcenorientiert denkt, sichert seine Lieferkette und damit auch seine Gewinne langfristig ab.
Langfristigkeit ist in der Textilindustrie allerdings so eine Sache. Mode ist kurzlebig, zumindest unser Verständnis von ihr. Damit sich daran etwas ändert, sind nicht nur Unternehmen, sondern vor allem Verbraucher*innen gefragt. Soll Fast Fashion aus der Mode kommen, darf sie nicht länger Maßstab für modisch sein. “Buy less, choose well, make it last“ hat Modedesignerin Vivienne Westwood schon vor Jahren festgestellt – der vielleicht beste Ratschlag für nachhaltigen Konsum.
Bilder © Fairtrade/Shiva Pavi
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