Redakteurin Nicole Reese hat für uns mit Conny Brammen von YOGAHILFT und LANGENACHTDESYOOOGA gesprochen. Eine Frau, die man kennen sollte. Sie ist Gründerin des sozialen Programms, das Yoga zu den Menschen bringt, die es sich nicht leisten können.
Yoga ist politisch.
Freude liegt in der Luft, Gespräche und Lachen flirren durch den Raum. Es ist warm und voll. Die Yogamatten werden doppelt gefaltet, damit der Platz für alle reicht. Währenddessen schieben sich unentwegt neugierige Yogis durch die Tür ins Studio und passen am Ende alle rein.
Die erste LANGENACHTDESYOOOGA scheint zu sein, was sie verspricht: Verbindung und Community, ein großes Miteinander. Und doch: Ist Yoga wirklich für ALLE? Was ist mit diejenigen von uns, die sich nicht mal eben die Yogamatte unter den Arm klemmen können um ins Studio zu gehen? Weil sie sich die Yogakurse nicht leisten können oder nicht in der Verfassung sind, mit anderen Menschen in einen Raum zu sein und sich zu bewegen?
Conny Brammen hat mit YOGAHILFT ein soziales Programm ins Leben gerufen, das Yoga zu den Menschen bringt, die sich nicht ohne Weiteres ins Yogastudio begeben, die aber unbedingt den großen Schatz und Wert des Yoga kennen sollten. Denn Yoga ist Verbindung – mit sich selbst und dadurch auch wieder mit der Welt.
Wir sprechen mit Conny via Zoom, an einem grauen Nachmittag im Mai, was ihre gute Laune und ihre Leidenschaft fürs Thema kein bisschen trübt. Die Vorbereitungen für die 10. LANGENACHTDESYOOOGA laufen auf Hochtouren, die Programme der Studios stehen. Jetzt gilt es nur noch, die gesellschaftliche Relevanz des Yoga für Alle in die Welt zu tragen – oder fürs erste in Hamburg ein größeres Bewusstsein dafür zu schaffen.
Wie ist YOGAHILFT entstanden?
Conny Brammen: Ich wollte die Wirkung, die Kraft, das Licht des Yoga zu Menschen bringen, zu denen es normalerweise nicht hin kommt. Zu Menschen, die nicht am Lifestyle-Yoga teilnehmen können.
Auslöser für die Vereinsgründung war eine persönliche Geschichte. Ich hatte selber eine schwierige Zeit mit Depressionen und begann in der Klinik für mich wieder mit Yoga. Ich hatte mit Yoga 1987 angefangen, als ich mit meiner Tochter schwanger war, und stellte sofort wieder fest, wie gut es tut. Mir ist die Wirkung des Yoga so bewusst geworden, dass ich mir geschworen habe, Yoga in den Sozialraum zu bringen.
Was meinst du mit Lifestyle-Yoga?
Conny Brammen: Lifestyle-Yoga ist dieses gesellschaftlich sehr relevante Yoga für Menschen, die 12-20 Euro die Stunde zahlen und in ein schickes Yogastudio gehen können, ohne dabei Scham zu empfinden oder sich fehl am Platz zu fühlen. Menschen, die gerne unter schlanken, geschmeidigen, sportlichen Leuten Yoga machen. Das ist ja nicht selbstverständlich. Es gibt viele Menschen, die das nicht können, z.B. bei schweren Depressionen. Aber ich betone: Yoga allgemein ist gesellschaftlich relevant. Für den Verein und für das, was wir tun, ist es außerdem extrem wichtig, den Wert von Yoga im Sozialraum darzustellen.
Wie sieht das soziale Yoga Programm von YOGAHILFT denn genau aus?
Yoga hat einen Wert und es braucht besonders im Sozialraum eine Einbettung. Die jeweiligen Projekte sind immer in eine Organisation eingebettet, in der die Menschen leben, betreut, beraten oder unterrichtet werden. Wo sie Vertrauen haben und in denen es Ansprechpartner:innen gibt.
Beim Programm YOGAHILFT ist es so, dass die Yogalehrer:innen sich rein aufs Yoga konzentrieren. Wir arbeiten nur mit dem Yoga. YOGAHILFT ist keine Therapie, kein Coaching, es ist keine Gesprächsrunde. Nur so können die Menschen eine neue Erfahrung mit sich machen. Darin liegt die Wirkung. Wenn es tatsächlich zu verstärkten Gesprächsbedarf kommt, kann die Yogalehrerin sagen, bitte wende dich an deine Bezugsbetreuung. Die jeweiligen Projekte sind immer in eine Organisation eingebettet, in die die Menschen Vertrauen haben und in der es Ansprechpartner gibt.
Mit welchen Kursen ging es los?
Der erste Kurs startete 2014 in Kooperation mit Nussknacker e.V., einem Verein, der sich um Menschen mit psychischen Erkrankungen kümmert, und den es heute noch gibt. Ansonsten lässt sich unserem Programm in drei Formate unterteilen:
PSY – psychosensibles Yoga: Yoga bei Depressionen, bei Trauer, bei Essstörungen, für pflegende Angehörige und Yoga nach häuslicher Gewalt.
PräviG – Prävention im Grundschulalter: Ein strukturelles Angebot für Kinder im Grundschulalter – speziell für Kinder aus Familien, die psycho-ökonomisch benachteiligt werden.
OMY!- Yoga für Menschen 60+ in Altersarmut, die sich Yoga selbst nicht leisten können.
Wer unterrichtet die Kurse? Geschieht das ehrenamtlich?
Nein. Wir finden, die Herausforderungen an unsere YOGAHILFT Lehrer:Innen verlangen nach einer ökonomischen Wertschätzung, nicht nur, weil sie sehr viele Voraussetzungen erfüllen müssen. Unserer Yogalehrer:innen müssen mindestens zwei Jahre Unterrichtserfahrung, eine Fortbildung ‚Yoga und Trauma‘ vorweisen können und wirklich bereit sein, regelmäßig im Austausch mit YOGAHILFT zu sein. Dazu gehört auch Supervision (wird vom Verein angeboten, Anmerkung der Redaktion), da in sozialen Settings zu unterrichten, nicht immer einfach ist.
Wie ging’s los? Was war die erste (Yoga-) Aktion? Hattest Du Unterstützung?
Die erste Idee war die LANGENACHTDESYOOOGA. Mit einer Freundin, einer Kundalini Yogalehrerin, und ihrem Mann, einem Gestalter, wollten wir was Bildgewaltiges starten. Ich selbst komme aus dem Zeitschriften-Journalismus und liebe das ‚Blattmachen‘ und die ‚Kommunikation‘. Mir war klar, dass wir eine gute Gestaltung brauchen, um gesehen zu werden.Diese OOOOM-Gestaltung hat Jung von Matt sports für uns pro bono gemacht. Sie ist fantastisch.
Kartha Purkh (Hamburger Kundalini-Lehrer, Anmerkung der Redaktion) machte den Vorschlag, daraus eine Charity-Aktion zu machen. Da die Stadt, der VTF direkt abgewunken haben uns zu unterstützen, haben wir zeitgleich einen Verein, Yoga für Alle e.V. gegründet – was ja nicht so einfach ist.
Am 21.Juni 2014 fand dann die erste LANGENACHTDESYOOOGA zur Sommersonnenwende statt. Daraus hat sich das Programm YOGAHILFT entwickelt, das aber bereits der grundlegende Ansatz war, um die LANGENACHTDESYOOOGA überhaupt zu starten.
Wie lief die erste LANGENACHTDESYOOOGA und was war das Schönste daran?
Die war toll. Es waren 32 Studios und Sportvereine dabei, 1500 Menschen haben teil genommen. Die Freude der Menschen, die da zusammen kamen und sich gegenseitig stolz ihre Bändchen zeigten, das war richtig toll. Die Vielfalt des Yoga und die Freude dabei sein können, zu sehen, war besonders beindruckend.
Und es gab auf einmal Einnahmen. Das war verrückt. Die haben wir dann gespendet, da wir noch keine eigene Struktur hatten. Ich war damals noch voll berufstätig und wir haben das alles ehrenamtlich gemacht. Wir haben u.a. an Community Yoga gespendet, die damals viel mit Geflüchteten gearbeitet haben. 2015 haben wir dann die Yoganacht nacht München und Bochum gebracht.
Wie haben sich die unterschiedlichen Aspekte nebeneinander entwickelt?
Die LANGENACHTDESYOOOGA war von Anfang an dafür gedacht, die Aufmerksamkeit auf die sozialen Projekte zu richten. Es war nur wirklich schwierig, einen Weg zu finden, damit das nicht so ein Bällebad ist.
Denn das ist mein zweites großes Anliegen: Dieser Welt da draußen, außerhalb der Lifestyle-Yoga-Bubble, die das ja bereits weiß, zu zeigen, welchen Wert Yoga hat. Dazu kann auch das Lifestyle-Yoga eine Menge zu beitragen, nämlich aufzuhören, kostenlos Yoga anzubieten.
„Yoga hat einen Wert und es braucht eine Einbettung. Ich bin der festen Überzeugung, das so eine Arbeitsteilung zwischen Lifestyle-Yoga und YOGAHILFT, bzw. sozialem Yoga, Sinn macht. Beides ist gesellschaftlich relevant. Wir können uns gegenseitig dabei unterstützen, noch wirkungsvoller zu werden.„
Du bist über deine Schwangerschaft zum Kundalini Yoga gekommen. Was liebst du besonders an diesem Yogastil?
Beim Kundalini-Yoga hast du gleich von der ersten Stunde an die Möglichkeit, Dir selbst zu begegnen – auf allen Ebenen. Geistig, seelisch und körperlich. Das ist bei vulnerablen Gruppen, die wir mit YOGAHILFT erreichen wollen, ein wichtiger Punkt. Zum Beispiel bei OMY! Yoga für Menschen 60plus.
Das sind Menschen im 3. oder 4. Lebensabschnitt, da geht es auch ums Sterben. Das muss ich als Yogalehrerin können, da muss ich sattelfest sein. Es braucht ein Bewusstsein dafür, wie ich das in meinem Unterricht präsentiere.
Dafür haben wir beispielsweise ein tolle Schulung mit Stefanie Brauch, Expertin für Seniorinnen-Yoga. Sie ist auch Kundalini Yogalehrerin. Aber: Wir haben bei YOGAHILFT über 40 Yogalehrerinnen. (Ausschließlich Frauen). Und die kommen aus allen Traditionen.
Yoga ist Verbindung. Was bedeutet dieses Wort für dich?
Mit dem Programm YOGAHILFT ermöglichen wir durch Yoga eine neue positive Erfahrung, eine Verbindung mit sich selbst. Bei all unseren Zielgruppen ist diese unterbrochen. Wenn ich magersüchtig bin, in Isolation lebe oder einsam bin, ist die Verbindung zu mir selbst unterbrochen – und die Verbindung zur Welt.
Bei Depressionen ist das beispielsweise extrem krass. Und wenn Menschen mit Depressionen nach der Stunde sagen, sie haben sich mit sich selbst verbunden gefühlt, dann weiß man, es hat sich gelohnt. Wenn eine Teilnehmer:in etwas sagt, das eine Wirkung wieder spiegelt, die ja sehr tief geht – das ist für mich Verbindung.
Können wir alle mehr Verbindung lernen?
Ja, und da ist Yoga tatsächlich ein sehr wertvolles Mittel. Wir verlieren ja immer mehr die Verbindung untereinander. Die Welt ist ja grad durch Unsicherheit bestimmt. Vielleicht sind nächstes Jahr 45° in Hamburg? Dann ist es vorbei mit Gewissheiten, das stellt alles auf den Kopf.
Ich glaube, es ist gut, wenn wir in dieser Zeit der Unsicherheit eine starke Verbindung zu uns selbst haben, das heißt nicht, dass wir egoistisch sind, sondern, dass unsere innere Stimme weiß, was richtig ist.
„Sie würde sagen: Geh mal spazieren, oder zu Fuß zur Arbeit oder fahre Fahrrad. Mehr Bewegung ist auch Verbindung. Das fängt mit atmen an. Atmen ist die kleinste Bewegungseinheit.„
Hilft Yoga gegen die Einsamkeit?
Menschen in Altersarmut sind besonders von Einsamkeit betroffen, während des Lockdowns war das richtig krass und die Krankheiten stiegen an. Die Co-Morbidität durch Einsamkeit wäre auch als volkswirtschaftlicher Aspekt interessant, Stichwort Opportunitätskosten.
Aber Einsamkeit hat auch was mit Teilhabe und Würde zu tun. Wir haben inzwischen 24 OMY! Gruppen, 12 in Hamburg, 12 in München. Eine 82-jährige Teilnehmerinnen in München sagte letztens, sie hätte nicht geglaubt, dass sich in ihrem Leben noch irgendwas positiv verändern könnte, aber durch das Yoga hat sie bemerkt, da geht doch noch was. Eine andere ist so beweglich geworden, dass sie sich wieder die Schuhe zu binden kann. Ist das nicht toll?
Können wir durch Yoga wieder mehr Freude ins Leben bringen?
Freude zu empfinden ist ja ganz wichtig um neugierig zu sein und um in die Welt zu gehen. Das ist die Voraussetzung dafür. Wenn ich traurig bin, ziehe ich mich zusammen, der Brustkorb wird eng, ich bekomme Angst. Angst wiederum macht krank.
Das ist ja alles ein ganzer Rattenschwanz. Aber Verbindung herzustellen, zu mir selbst, mich zu spüren: Das ist wow. Der Yogabegriff Purusha, das Bewusstsein des inneren Lichts, trifft diesen Zustand ganz gut.
Welche Wünsche, Visionen und Ideen hast du für den Verein?
Ich wünsche mir, dass die Krankenkassen und die großen Geldmittelgeber:innen den Wert von YOGAHILFT erkennen und uns unterstützen.
Und trotzdem ist die LANGENACHTDESYOOOGA dieses Jahr kostenlos. Damit die Hürde teilzunehmen geringer ist?
Ja genau, weil es Yoga für ALLE sein soll. Und es ist unser Geschenk an Hamburg und an alle Studios und Vereine, die dabei sind. Das Sportamt fördert uns dieses Jahr.
Ansonsten wünsche ich mir Gratulationen zum 10. Geburtstag, denn den feiert die LANGENACHTDESYOOOGA am 24. Juni von 17 – 23 Uhr.
Vielen Dank für das Gespräch!
Mehr zum Verein Yoga für ALLE e.V. , zum Programm von YOGAHILFT und zur LANGENACHTDESYOOOGA gibt es hier.
Portrait Conny Brammen ©Klas Neidhardt
Yoga Bild @ Antoni Shkraba via Pexels
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