Christine Dohler über die Rauhnächte

„Zack erleuchtet“ mit Christine Dohler: Die Rauhnächte

Autorin Christine Dohler stellt uns die Rauhnächte und die dazu passenden Rituale vor. Warum es sich lohnt, aus dem Gewohnten zu fallen und die Traditionen unserer Vorfahren anzuschauen.

Die Rauhnächte sind die wundervollsten Tage des Jahres. Während dieser Zeit können wir wahrhaft runterfahren – und aufatmen. Das Wort magisch ist ausgereizt. Aber wenn es eine Zeit im Jahr gibt, bei der man wirklich von Magie sprechen kann, bei der man sich und sein Leben verzaubern kann, dann sind dies die Rauhnächte vom 1. Weihnachtstag bis zum Dreikönigstag.

Sie erleben seit ein paar Jahren ein Revival: Immer mehr Menschen entdecken die Kraft der bewussten Besinnung und den ganz besonderen Zauber dieser Tage: Sie zelebrieren kleine Rituale und versuchen, diese Zeit zur inneren Einkehr zu nutzen. Der Ursprung des Wortes ist nicht genau geklärt.

»Rauh« könnte aber naheliegend auf das mittelhochdeutsche Wort »rouch« (Rauch) zurückgehen, denn eines der Rituale, die auch heute gern während dieser Zeit praktiziert werden, ist das Räuchern mit Kräutern oder Harzen. Damals wurden die Ställe und das Haus ausgeräuchert, um Geister zu vertreiben. Heute würde man diese vermutlich negative Gedanken, Stress und Probleme nennen. Die Geister eben, die uns im Alltag verfolgen.

Aus dem Rahmen des Gewohnten fallen

Diese Zeit galt seit jeher als eine besondere Zwischenzeit, die aus dem Rahmen der Zeit und des Gewohnten fällt. Der germanische Kalender hatte Mondjahre mit 354 Tagen sowie Sonnenjahre mit 365 Tagen. Die Differenz beträgt elf Tage und zwölf Nächte. Es ist fast so, als existierten die Tage gar nicht – oder vielmehr, als wäre dies die perfekte Gelegenheit, selbst mal aus dem Rahmen des Gewohnten zu fallen.

Die Tage rund um den Jahreswechsel eignen sich so gut für alles, was das Jahr über zu kurz kam, weil die Welt sich zur Ruhe hinwendet und man getrost offline gehen kann.

Die Tage zwischen den Jahren fühlen sich beinahe wie die kleine Pause der Stille zwischen zwei Atemzügen an, nur eben viel ausgedehnter.

Die gesamte Zeitspanne bewusst zu erleben, ist etwas sehr Wertvolles. Es ist schließlich auch die Zeit des Jahres, in der Stille einkehrt und es weniger Termine gibt. Die meisten Menschen können sich freinehmen und mit den Liebsten zusammenkommen. Auf jeden Fall ist es einfacher, mal nicht erreichbar zu sein. Wir träumen klarer oder können besser innerlich zur Ruhe kommen.

Traditionen unserer Vorfahren

Bräuche rund um die Rauhnächte existieren seit vielen Jahrhunderten. Die Rauhnächte galten bei den Germanen und Kelten als eine Phase, in der Dämonen und Geister leichter Zugang zur Welt hatten. Deshalb wurden viele Rituale (wie Räuchern von Haus und Hof sowie Kerzen auf Fensterbänken aufstellen) durchgeführt, um das Negative loszuwerden und Positives einzuladen.

Es geht darum, den tieferen Sinn zu verstehen und das, was die Menschen bewegte und uns heute noch bewegt. Und ist es dann so unterschiedlich? Damals war es zum Beispiel Brauch, während dieser Tage keine Wäsche zu waschen und draußen aufzuhängen, weil sich Geister darin verfangen könnten. Auch Backen war verboten, und daraus entstanden viele lange haltbare Backwaren wie Stollen oder Plätzchen.

Traditionell durfte während der Rauhnächte nicht gesponnen werden (es galt, jegliche Hausarbeit zu vermeiden), da sich nur das Rad des Schicksals drehen sollte. Die Schicksalsgöttinnen Nornen sponnen den Faden für jeden Menschen. Sonst standen alle anderen Räder still.

In die Neuzeit übersetzt könnte man mit dem Wort »spinnen« die vielen Gedanken verbinden, die wir uns das Jahr über so zurechtlegen, und die nun stiller werden dürfen. Und wenn Räder stillstehen, dann sind das Fahrzeuge wie Autos, aber auch vor allem das Hamsterrad an lästigen Routinen und Alltagsverpflichtungen.

Die Bräuche, die uns blieben

Was uns zum Beispiel als Ritual noch geblieben ist, spielt sich in der Silvesternacht ab: Bleigießen und Böllern. Auch wenn es bei uns heute anders aussieht und wir alles einfach im Supermarkt kaufen, geht es im Grunde noch um dasselbe: das Alte vertreiben und sich auf das Neue einlassen bzw. orakeln, was das neue Jahrso bringt.

Das Krachen soll das alte Jahr vertreiben, und die Feuerwerke begrüßen das neue. Der Schattenwurf des geformten Bleis soll (möglichst das Glück) für das kommende Jahr vorhersagen. Nicht alle Rituale und Bräuche rund um diese Zeit sind uns erhalten geblieben.

Manche gingen verloren, und andere muten aus heutiger Sicht vielleicht etwas zu kurios an. Zum Beispiel, dass man eine ganze Hagebutte schlucken soll, weil das Glück bringt, oder dass Tiere zu dieser Zeit sprechen. Ging es also vielleicht eher darum, mehr zu lauschen und in Kontakt mit den Wesen um uns herum zu gehen?

Die Bedeutung von Bräuchen und Ritualen bleibt allgemeingültig: Sie sollen uns schützen, Sinn stiften und uns mit anderen verbinden, sie geben Halt und Struktur, erinnern uns an den Jahreszyklus und die Kraft der Natur und lehren uns, die Wesen um uns herum wertzuschätzen. Je größer die Herausforderungen des Alltags sind, umso mehr entsteht in vielen Menschen die Sehnsucht nach diesen scheinbar kleinen Dingen im Leben: Sinn, Sicherheit, Vertrauen, Verbundenheit und Zuversicht.

Bei der Wiederbelebung von Ritualen geht es nicht darum, alten Aberglauben weiterzuspinnen, sondern ihren Sinn und Zweck in eine moderne Sprache zu übersetzen und seine eigene Version davon zu finden.

Und das unsichtbare und stärkende Band zu spüren, das uns mit unseren Vorfahren verbindet. Auch wenn wir uns dessen nicht immer bewusst sind, ist dieses Erbe doch Teil unseres Alltags.

So ist der Wochentag Freitag nach der germanischen Göttin Frija (oder Freya) benannt. Diese Dinge müssen wir nicht alle wissen, wir dürfen sie aber spüren. Wir leben heutzutage in einer stark individualisierten Gesellschaft – mit den entsprechenden Vor- und Nachteilen.

Wenn wir die Bräuche respektieren und unsere Version davon finden, dann bleiben wir mit unseren Wurzeln verbunden, ohne dass es zu einer lästigen Pflichtübung wird, die nicht in unser modernes Leben passt.

Rauhnächte – Altes mit Neuem verbinden

Die Rauhnächte eignen sich gut dafür, Altes mit Neuem zu verbinden, auch im eigenen Leben: Die Versöhnung mit der Vergangenheit und die Kraft unserer Erfahrungen können uns Freiheit für die Zukunft schenken. Wir entwickeln uns laufend weiter, und deswegen ist es nur natürlich, wenn Traditionen und Bräuche immer wieder hinterfragt werden, denn das Weltbild ändert sich mit der Lebenssituation. Und vieles löst sich aus dem religiösen Kontext, wird dogmenfreier.

Dies ist eine logische Entwicklung, denn unser Leben sollte eher auf die Zukunft als auf die Vergangenheit ausgerichtet sein. Wenn wir vielleicht manchmal denken, die Zeiten vor uns wären nicht so weit entwickelt gewesen, sollten wir uns einmal umsehen: Viele Menschen haben sehr viel, wir leben länger, Maschinen nehmen uns einen Teil der Arbeit ab, wir müssen unser Gemüse nicht selbst anbauen.

Wir können so viel konsumieren und brauchen noch nicht einmal eine Familie für das Überleben, wenn wir lieber allein durchs Leben gehen möchten. Doch das hat einen Preis, der uns erst langsam bewusst wird: eine Trennung von der Natur, von den Mitmenschen und letztlich von uns selbst. Überforderung und Reizüberflutung.

Die innere Leere, die sich scheinbar durch nichts von außen füllen lässt, das Grübeln, die leblose Energie, die wir in Form von Zucker und Koffein zu uns nehmen, um uns immer weiter zu pushen. Wenn wir ganz ehrlich sind, bleibt auch für uns vieles auf der Welt noch unerklärlich, was es auch mystisch macht, hier zu leben und zu sein.

„Was wissen wir eigentlich? Und was wären wir ohne die Sinnsuche, ohne den Wunsch, das Leben ganz zu verstehen und es dann doch nicht greifen zu können?“

Ich kann von mir sagen, dass ich eine unfassbare Sehnsucht habe, meine Wurzeln in einer entwurzelten Welt zu finden. Ich möchte nicht ohne Sinn leben, mich nicht verbiegen müssen und meine Energie für mich und andere sinnvoll einsetzen. Ich möchte bewusst leben und nicht darauf warten, dass das Leben erst beginnt, wenn ich im Außen irgendeinen Meilenstein erreicht habe.

Daher sind die Rauhnächte ideal, um alles herunterzufahren und es dann mit der Kraft von Ritualen und Besinnung wieder hochzufahren. So kann ich mich in meinem Leben neu aus- und einrichten und erkennen: Was ist wirklich wichtig? Worum geht es? Wofür bin ich dankbar? Wo ist Trennung in meinem Leben? Und letztendlich: Wie kann ich mehr Magie in meinen Alltag bringen?


Drei Ideen für Rituale während der Rauhnächte

Rauhnächte

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Pssst, Christine hat für alle Abo-Mitglieder ein tolles Video aufgenommen, indem sie uns die Rauhnächte näher bringt und Rituale für die Zeit erklärt!! Im Abo findet ihr außerdem ein Worksheet für die Zeit der Rauhnächte.



Über Christine Dohler

Christine Dohler ist Autorin, Coach und Meditationslehrerin. Sie hat die Bücher „Rauhnächte mit Kindern erleben“ und „Die weibliche Energie der Rauhnächte“, beide erschienen bei Goldmann, geschrieben.



Portrait Christine @ Sebastian Fuchs


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