Natalia stellt uns Wandpilates vor

Was ist eigentlich Wandpilates?

Pilates-Trainerin und Autorin Natalia Cichos-Terrero erklärt in diesem Artikel, was es mit dem aktuellen Social Media-Trendthema Wandpilates auf sich hat, worauf man wirklich beim Training an der Wand achten muss und wieso man sich auf keinen Fall von den sozialen Medien beeindrucken lassen sollte.

Wandpilates, bitte was? So lautete meine Reaktion auf eine Frage einer lieben Kundin, als sie mir vergangenes Jahr von dem Social Media-Trend Wandpilates erzählte. Ich muss gestehen: Ich bin berufsbedingt in den sozialen Medien unterwegs, selbst seit vielen Jahren Pilates-Trainerin , aber der Trend, von dem die halbe Welt spricht, ist an mir vorbeigegangen. Aber dann habe ich mir das Ganze näher angeschaut.

Was Wandpilates (nicht) ist

Ob auf TikTok, Instagram oder Youtube: Überall sieht man seit einiger Zeit Menschen, die an der Wand trainieren. Dabei machen sie häufig spektakuläre Verrenkungen, akrobatisch anmutende Übungen und wollen vor allem eins: Aufmerksamkeit. Da Pilates kein geschützter Begriff ist, aber immer bekannter wird und per se gut klingt, werden die Übungen oft als Wandpilates bezeichnet.

Doch Wandpilates ist etwas anderes. Beim Wandpilates geht es darum, Übungen, die auf der Matte und an den Großgeräten wie dem „Reformer“ oder dem „Wunda Chair“ gemacht werden, an und mithilfe der Wand zu praktizieren. Was Wandpilates nicht ist, ist jede beliebige Übung an die Wand zu bringen und sie mit dem Namen Pilates zu versehen.

Wandpilates, wie ich es kenne und ausübe, ist kein Trend. Es ist eine Variante von Pilates, die es schon immer gegeben hat, seit Anbeginn von Pilates, also seit mehr als 100 Jahren. Übungen mit und an der Wand gab es schon immer im Pilates, nicht erst seit letztem Jahr. Aber was neu ist, ist, dass Wandpilates aktuell ganz vielen Menschen in den sozialen Medien ausgespielt und zugänglich gemacht wird und die Fitnessindustrie natürlich auf diesen Zug auch aufspringen möchte. 

wandpilates

Wieso Challenges dich oft nicht weiter bringen

Im Rahmen des Social Media-Trends haben sich zunehmend sogenannte Challenges entwickelt. Es kursieren Apps, Werbevideos und Bücher, die allesamt eines versprechen: in 28 oder 30 Tagen einen neuen Körper zu haben, das Bauchfett deutlich zu verringern und vieles mehr.

Eine Fitnesschallenge muss nichts Schlechtes sein. Was ich aber bedenklich finde, sind Challenges, bei denen angepriesen wird, dass sich nach kurzer Zeit alles verändert. Damit nutzt man die Wünsche, aber auch Unsicherheiten der Konsument:innen oft aus.

Ähnlich wie bei Diäten, wenn immer wieder angepriesen wird, mit einer Diät in fünf Tagen fünf Kilo zu verlieren. Wenn das so einfach wäre, bräuchten wir keine Diäten und keine Challenges. Denn was ist nach den 28 oder 30 Tagen? Oder nach den fünf Tagen Diät?

Bewegung sollte selbstverständlich sein. Wir Menschen sind zur Bewegung geboren, aber unser moderner Lebensstil gaukelt uns etwas anderes vor. 

Das Training an und mithilfe der Wand soll in meinen Augen vor allem eins sein: alltagstauglich. Deswegen sage ich auch bewusst: Selbst, wenn du nur 1 Übung am Tag machst, weil es gerade nicht anders geht, gibst du 100 Prozent und kannst stolz auf dich sein. So baust du gute Gewohnheiten auf. Schritt für Schritt. Nicht mit einer Challenge, bei der du nach dem Abschluss häufig komplett auf dich gestellt bist. 

Die Wand ist ein großartiges Tool, wenn du weißt, worauf zu achten ist 

Nicht jede:r hat immer eine Matte parat und selbst wenn, fehlt manchmal der notwendige Platz, um sie auszurollen. Nicht immer hat man Zugang zu einem Pilates-Studio mit Geräten (wie zum Beispiel dem immer bekannter werdenden Reformer).

Eine Wand findet man aber immer und überall: ob zu Hause, bei der Arbeit, im Hotelzimmer oder am Flughafen. Mit einer Wand hat man sein Trainingsgerät praktisch immer dabei. Kein anderes Trainingsgerät als die Wand, zeigt dir so gut, wie (weit) du dich bewegst.

Wenn du an der Wand trainierst, merkst du sehr schnell, welche Dysbalancen und Asymmetrien es in deinem Körper gibt. Das ist eine wertvolle Information, mit der du dein Training abseits der Wand, ob auf der Matte oder an den Geräten, auf ein neues Level bringen kannst.

Deswegen ermuntere ich dich dazu, es auszuprobieren: einmal ohne die Wand, dann mit der Wand und dann wieder ohne die Wand zu trainieren. Der große Vorteil des Trainings an der Wand ist auch, dass man die Übungen sehr gezielt, sicher und genau machen kann.

Schummeln ist zwecklos. Die Wand zeigt dir schnell, was eine aufrechte Haltung ist, sie schult deine Körperwahrnehmung und -kontrolle, das Gleichgewicht, die Beweglichkeit und die Kraft, vor allem in der Körpermitte, also der Bauch-, Beckenboden- Hüft- und Rückenmuskeln. 

Lasse dich nicht von den sozialen Medien beeindrucken

Was in Social Media oft sehr schön aussieht, ist meines Erachtens für viele ungeeignet. Insbesondere für Menschen mit Beschwerden in Nacken, Schultern, Rücken & Co. Die Verletzungsgefahr ist dann groß. Insbesondere, wenn in den sozialen Medien kaum oder gar nicht darauf eingegangen wird, wie eine Übung an der Wand richtig und sauber auszuführen ist.

Erst, wenn du weißt, worauf du achten musst, werden die Übungen so richtig effektiv, Fehlhaltungen und falsche Bewegungsabläufe werden vermieden und der ganze Körper wird – von Kopf bis Fuß – trainiert.

Du solltest in jedem Fall wissen, wie du dich an der Wand richtig ausrichtest. Ein und dieselbe Übung wird bei dir, bei mir oder jemand anderem, immer anders aussehen. Das hat mit der jeweiligen Körpergröße und -konstitution zu tun, mit der Beschaffenheit der Gelenke, aber auch mit eventuellen Beschwerden und Krankheitsbildern. Nicht alle Übungen, die du auf Social Media findest, eignen sich für jede:n.

Ich habe für mein Buch Wandpilates ein mehr als alltagstaugliches Trainingsprogramm zusammengestellt. Es gibt fast 50 Übungen zu verschiedenen Themen, wie aufrechte Haltung/fitter Rücken, Nacken und Schultern, straffe Arme, mehr Stabilität und Balance sowie die klassischen Pilates-Mattenübungen an der Wand. Mit vier Programmen à acht Minuten und einem Programm à 20 Minuten bekommst du kurze und knackige Workouts an die Hand, die du immer und überall nutzen kannst. Schließlich brauchst du nur eine Wand und dein einzigartiges Ich.

Ich möchte dir mit dem Buch zeigen, dass du nicht erst fit, flexibel, schlank oder sonst etwas sein musst, um Pilates zu machen. Jeder Körper ist einzigartig und individuell, vergleiche dich nit mit jemand anderem, sondern immer nur mit dir selbst. 

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Pilates ist nicht einfach nur Sport 

Ich bekomme oft weitverbreitete Missverständnisse über die Pilates-Methode zu hören. Und es ist mir wichtig zu betonen, dass Pilates nicht einfach Gymnastik ist. Und auch keine Physiotherapie. Es ist weder wie ein Bauch-Beine- Po-Kurs, noch ist es wie Yoga (auch, wenn sich beide ganz toll ergänzen können). 

Pilates ist eine kraftbasierte, ganzheitliche Trainingsmethode – ein Ganzkörpertraining, das dir helfen soll, die Dysbalancen in deinem Körper auszugleichen.

Pilates-Übungen sehen von außen recht unspektakulär aus. Erst wenn du es ausprobierst, wirst du feststellen, dass das Ganze wirklich anstrengend sein kann, wenn man es richtig macht. Der Vorteil: Pilates ist gelenkschonend und für Personen jeden Alters und jeder Konstitution geeignet.

Für mich ist Pilates noch mehr: Eine Lebensart, die die Wahrnehmung und Haltung verändert, die dich lehrt, deinen Körper zu erforschen, auf ihn zu hören, deinen Geist zur Ruhe zu bringen, Kraft zu tanken, in Balance zu leben, mit dir und der Welt.

Während du Pilates machst, übst du dich gleichzeitig in Achtsamkeit. Durch die notwendige Kontrolle und Präzision bist du bei den Übungen komplett bei dir. Du kannst gar nicht an etwas anderes denken, denn dann kannst du dir sicher sein, dass du etwas falsch machst. In meinen Augen ist Pilates eine Methode, die dich stark macht: körperlich und mental.

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Probiere diese Wandpilates-Übungen aus meinem Buch:

1.Armslides

1. Stelle dich mit dem Rücken an die Wand. Füße sind im Pilates-V, etwa ein bis zwei Fußlängen von der Wand entfernt. Der Kopf ist idealerweise an der Wand angelehnt, wenn du dein Kinn parallel zum Boden halten kannst und deine Schultern nicht nach vorne kommen. Ansonsten nimm ein Handtuch oder Kissen und platziere es am Hinterkopf. Neige dein Kinn ganz leicht nach unten zum Brustbein (wie wenn du ein kleines ≫Ja≪ nickst). Halte deine gesamte Wirbelsäule an der Wand.

2. Bringe deine Arme gebeugt an die Wand. Die Oberarme sind parallel zum Boden, die Unterarme senkrecht. Schultern, Ellenbogen und Handrücken sind an der Wand. Wenn du hier deine Rippen rausdrückst, dann lasse nur die Schultern an der Wand und Ellenbogen und Hände weg von der Wand. Du ziehst deine Rippen zueinander und drückst sie gegen die Wand.

3. Strecke die Arme nach oben und wieder zurück in die Ausgangsstellung. Die hinteren Oberschenkelmuskeln und das Gesäß sind aktiv. Die Knie sind soft und werden nicht durchgedrückt. Ziehe die Schultern nicht hoch zu den Ohren.

Wiederhole die Übung 4- bis 6-mal.

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Wirkung:
Die Übung lässt deine ganze Schultermuskulatur und die obere Rückenmuskulatur arbeiten. Darüber hinaus öffnet sie deinen Brustkorb.

Tipp: Ziehe deinen Bauchnabel nach innen und oben gegen die Wand. Wenn du deine Arme anfangs nicht ganz an die Wand bringen kannst, versuche mit der Zeit, immer weiter an die Wand zu kommen, ohne dass die Rippen raustreten. Dies ist eine tolle Übung für alle, die viel am Computer arbeiten oder viel reisen, um in kurzer Zeit die Haltung zu verbessern.

2. Chest Expanison

1. Stehe aufrecht mit dem Rücken an der Wand, etwa zwei Fußlängen entfernt von der Wand. Füße sind im Pilates-V. Hals ist lang.

2. Strecke die Arme in Schulterhohe mit den Handflachen zum Boden aus.

3. Atme ein, und führe die Arme gegen einen gefühlten Widerstand nach hinten und drücke sie gegen die Wand, halte die Schultern weit weg von den Ohren. Drehe den Kopf in einer Linie zur rechten und zur linken Seite, dann zurück zur Mitte, und bringe ausatmend die Arme in die Ausgangsposition.

4. Wiederhole die Übung und drehe dabei den Kopf erst zur linken, dann zur rechten Seite. Wenn du die Arme nach hinten streckst, drückst du vor allem die Oberarme gegen die Wand.

Wiederhole die Übung 2- bis 4-mal pro Seite.

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Wirkung:
+ Die Übung mobilisiert die Rumpfmuskulatur.
+ Sie dehnt Nacken- und Schultermuskulatur.
+ Außerdem öffnet sie (wie der Name sagt) den Brustkorb.

Tipp: Spanne deine Beininnenseiten an. Halte das Kinn parallel zum Boden. Achte darauf, kein Hohlkreuz zu bilden. Nutze die Atmung, um die Übung effizienter zu machen.

3. Side bend

1. Stelle dich wie bei der vorherigen Übung „The Star“ seitlich mit dem Körper zur Wand. Füße sind im Pilates-V. Powerhouse ist aktiv. Hals ist lang. Strecke den Arm, der zur Wand zeigt, aus und platziere die Hand etwa in Schulterhohe an der Wand. Gehe dann noch etwas von der Wand weg, sodass dein Körper in einem leichten Winkel nach außen steht. Der andere Arm ist am Körper entlang gestreckt, die Handfläche drückt gegen den Oberschenkel.

2. Beuge die Hüfte in Richtung Wand und schaue dabei zur Hand am Oberschenkel. Der Arm an der Wand wird nicht gebeugt. Achte darauf, die Schulter nicht zum Ohr zu ziehen. Führe diese Bewegung 3-mal aus und komme wieder in die Ausgangsposition zurück.

3. Strecke anschließend den Arm, der am Bein ist, nach oben aus und bringe ihn in einem großen Bogen über die Seite Richtung Wand. Halte den Arm möglichst am Ohr. Bringe ihn wieder nach unten und beuge die Hüften erneut 3-mal zur Wand, bevor du den Arm wieder in einem Bogen Richtung Wand bringst. Du kannst das ein paar Mal wiederholen.

4. Drehe dich anschließend über die Mitte auf die andere Seite und führe die Übung mit dem anderen Arm aus.

Wiederhole die Übung 3- bis 5-mal pro Seite.

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Wirkung:
+ Du nutzt die Wand und durch den Widerstand, den sie dir gibt, lernst du, den Oberkörper aus eigener Kraft zu bewegen, ohne an der Wand zu ≫hängen≪.
+ Du dehnst und kräftigst deine Flanken und förderst die Stabilität deines Rumpfs.

Tipp: Schließe die Rippen, lasse sie nicht nach außen ploppen. Der Bauchnabel wird nach innen und oben gezogen. Falls die Übung für dein Handgelenk unangenehm sein sollte, fange mit weniger Wiederholungen an.

Weitere Übungen findest du in meinem neuen Buch „Wandpilates“.



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Über Natalia:

Natalia Cichos-Terrero ist Pilates-Trainerin und Buchautorin. Wegen eines Sportunfalls begann sie mit Pilates, seitdem lassen sie das ganzheitliche Training und die Philosophie, die dahintersteckt, nicht mehr los. Sie unterrichtet nach der Pilates-Original-Methode an Geräten und auf der Matte in ihrem Studio „pilatesphilosophie“ in Bad Herrenalb sowie online. Natalia ist für verschiedene Medien als Expertin tätig und durch TV-Auftritte bekannt. Ihr erstes Buch zum Thema Wandpilates erscheint am 5. September im Gräfe und Unzer (GU) Verlag und kann bereits jetzt vorbestellt werden. Am 5. September feiert die Autorin die Veröffentlichung zudem mit einer virtuellen Buchpremieren-Party. Anmeldungen sind über diese Seite möglich: https://wandpilates.de/ 

Copyrights Bilder @ GU/ Manuel Ringlstetter


Kategorien Wellness

Simone ist Mama eines kleinen Jungen, leidenschaftliche Yoga- und Meditationslehrerin, Podcast-Gastgeberin, freie Autorin und PR-Beraterin und ihre große Liebe ist das Schreiben. Sie ist verantwortlich für alle Inhalte und Texte bei PersonalityMag.

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