Wir geben es zu, wir sind große Akupunktur und TCM-Fans. Wann immer Akupunkturnadeln unsere Körper berühren, fließt danach spürbar mehr Energie. Das Ohr spielt in der TCM eine große Rolle, weil es eine Repräsentation unseres Körpers mit all seinen Organen, Muskeln und Körperteilen darstellt. Statt Nadeln können auch Ohrsamen, sogenannte Ear Seeds, verwendet werden. Sind diese einmal sanft im Ohr platziert, arbeiten sie fast wie von selbst.
Die Ohrakupunktur oder auch Auriculotherapie wurde in den 50er Jahren von dem Physiker und Allgemeinmediziner Paul Nogier systematisch entwickelt. Erste Überlieferungen reflektorischer Zusammenhänge von Ohr und übrigem Körper finden sich jedoch schon im Huangdi Neijing – dem klassischen Werk der TCM, circa 200 J. v. Chr. und auch bei Hippokrates. Nogier stellte fest, dass das Ohr den menschlichen Körper abbildet – in der Form eines auf den Kopf gedrehten Embryos. Die Ohrakupunktur betrachtet das Ohr als Mikrokosmos des Körpers und geht davon aus, dass wir über die Stimulation von Druckpunkten im Ohr auf andere ursächliche Bereiche unseres Systems einwirken können. Oft werden dazu Dauernadeln auf Pflastern eingesetzt, die für mehrere Tage auf dem Ohr bleiben.
Die sanfte Alternative: Ear Seeds
Eine Alternative sind Pflaster mit Samen der Pflanze „Vaccaria“. Die sogenannten „Ear Seeds“ oder auch Ohrsamen sind echte Samen aus der Vaccaria-Pflanze, die im Ohr aufgeklebt werden. Die Samen sind auf einem Klebestreifen befestigt, werden einfach mit Pinzette oder den Fingern an einem Akupunkturpunkt angebracht und dringen nicht in die Haut ein. Durch den ausgeübten Druck wirken sie jedoch wie Dauernadeln. Genauer gesagt haben wir es bei den Samen mit Akupressur zu tun – also perfekt für alle, die Angst vor Nadeln oder ein hohes Schmerzempfinden haben. In der Akupressur erfolgt die Behandlung über die Stimulierung der Akupunkturpunkte. Um die Wirkung zu verstärken, kann man durch eine leichte Druckmassage mit der Hand etwas nachhelfen.
Die „Vaccaria Segetalis“ Pflanze ist übrigens auch als „Kuhkraut“ oder „Kuhnelke“ bekannt und ihre Samenkörner werden schon seit mehreren Jahrhunderten in der chinesischen Medizin verwendet. Alternativen dazu sind Senfsamen oder Magnetkügelchen. Die Samen haften besonders gut, fallen auch beim Duschen nicht ab und können bis zu fünf Tage auf einer Stelle bleiben. Im Vergleich zu der Behandlung mit Nadeln haben die Samen einen längeren Wirkungszeitraum.
Auch Dr. med. Nina Roy, die eine Praxis für Allgemeinmedizin , Naturheilkunde, sowie ganzheitliche und Traditionelle Chinesische Medizin in Düsseldorf führt und Dozentin am Lehrstuhl für Naturheilkunde mit Schwerpunkt TCM an der Universität Duisburg-Essen war, verwendet Ohrsamen und Dauernadeln in ihrer Praxis. „Das Drücken und Betrachten der Regionen im Ohr nutze ich als diagnostische Methode und schaue nach Rötungen, Gefäßzeichen, Schwellungen oder Einziehungen. Meiner Erfahrung nach ist es sehr sinnvoll eine therapeutische TCM-Behandlung mit Ohrsamen zu begleiten. Wichtig ist dabei die gute Chemie zwischen Behandler und Patient. Ich rate davon ab, die Ohrsamen selbst anzubringen. Für den Erfolg der Behandlung ist ein erfahrener Therapeut mit fundierten Anatomie- und TCM-Kenntnissen entscheidend.“
Wie wirkt die Akupressur ?
In der Lehre geht man davon aus, dass für jedes Organ im Körper ein bestimmter Punkt im Ohr zuständig ist. Verrückt: Unser gesamter Körper steckt somit in unserem Ohr. Die Behandlung arbeitet mit Reaktionspunkten, das heißt, dass die einzelnen Punkte nur dann aktiv sind, wenn es im zugeordneten Organ eine Störung gibt. Über die Punkte lässt sich somit eine Funktionsstörung aufspüren, die dann massiert werden kann. Dazu orientiert sich der Therapeut anhand einer Übersichtskarte und sucht in den Arealen nach schmerzhaften Punkten. Man geht zum einen davon aus, das durch die Behandlung Botenstoffe ausgeschüttet werden.
Da das Ohr sehr nah am Gehirn sitzt, können Signale schnell hin und her geleitet werden, sie wirkt dadurch effektiver als eine Hand- oder Fußreflexzonenmassage. Zudem sind die Punkte über den Trigeminusnerv und den Vagusnerv direkt mit dem zentralen Nervensystem verbunden. Des Weiteren beeinflusst die Behandlung im Ohr die Meridiane, in denen Qi, unsere Lebensenergie, fließt. Wenn das Qi im Körper nicht richtig fließt, können Symptome entstehen – durch die Akupunktur wird der Qi-Fluss reguliert.
Anwendungsgebiete der Akupressur
Da es keinen Einstich in die Haut gibt, ist die Behandlung so gut wie schmerzfrei und eignet sich daher auch für Kinder. Angewendet werden die Ohrsamen bei der Behandlung von akuten und chronischen Schmerzen wie Kopfschmerzen, Rückenschmerzen und Arthroseschmerzen, aber auch bei neurologischen Erkrankungen wie Gesichtslähmungen, Schlaganfall oder Migräne. Auch bei Erkrankungen des Verdauungssystems oder Allergien, zum Abnehmen oder bei einer Rauchentwöhnung kommen die Samen zum Einsatz. Oftmals werden die Samen in Kombination mit einer Ohrakupunktur oder einer Moxabehandlung verwendet.
Wir finden es spannend, dass man in der TCM immer wieder Neues entdeckt. Wenn du bereits in Behandlung bei einer Therapeutin/einem Therapeuten bist, sprich diese/n doch gerne auf die Ear Seeds an.
Alle, die mehr wissen wollen, finden viele hilfreiche Informationen auf der Website von Dr. med Nina Roy: https://www.dr-nina-roy.de/
Buchtipp:
„The Web That Has No Weaver: Understanding Chinese Medicine“ von Ted Kaptchuk
Titelbild © Alexander Krivitskiy via Unsplash
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