Redakteurin Catrin Meyer hat sich noch nie für einen mutigen Menschen gehalten. Dennoch macht sie immer wieder Sachen, die ihren ganzen Mut erfordern. Warum? Im Artikel verrät sie mehr übers Mutigsein.
Was ist eigentlich Mut? Wahrscheinlich würde es uns nicht schwerfallen, eine gemeinsame Definition zu finden. Sowas wie: Mutig ist, zu tun, wovor man Angst hat. Doch was, wenn es um Beispiele für mutiges Verhalten geht? Ich schätze, dass das eine kunterbunte Sammlung wäre, die vom Fallschirmspringen über einen Vortrag halten bis hin zu ungeschminkt aus dem Haus gehen reicht. Sprich: Obwohl wir eine klare Vorstellung davon haben, was Mut bedeutet, kann man ihn schwer greifen. Noch komplexer wird es, wenn die Frage lautet, wann Mut überhaupt sinnvoll ist. Und genau das finde ich so spannend daran.
Mut hat tausend Gesichter
Für mich persönlich geht es bei Mut vor allem darum, die persönliche Komfortzone zu verlassen – und da die bei jeder Person anders aussieht, hat Mut eben auch tausend Gesichter. Von außen kann deshalb kaum beurteilt werden, wie mutig man sich in einer Situation verhalten hat. Als mir beispielsweise zum ersten Mal jemand sagte, ich hätte echt viel Mut gezeigt, hatte ich etwas getan, was ich gar nicht mutig fand: Ich hatte meinen Job gekündigt, weil er mich krank und unglücklich machte. Tatsächlich wusste ich noch nicht, was ich als nächstes tun sollte – aber mich für mein Leben zu entscheiden, empfand ich als selbstverständlich, nicht als mutig.
Im Gegensatz dazu hatten mich andere Dinge weitaus mehr Mut gekostet: Ich war direkt nach dem Abi als Au-pair nach Frankreich gegangen – für andere ein Grund zur puren Vorfreude, bei mir für wochenlanges Herzrasen. Ich war kurz darauf ganz allein in den Urlaub geflogen – heute vielleicht üblich, damals ein ganz schönes Abenteuer. Und ich machte ein Praktikum nach dem nächsten, obwohl mir jeder Neuanfang Bauchschmerzen und schlaflose Nächte bereitete.
Fluch und Segen der Komfortzone
Ganz ehrlich, einfach fand ich das alles nicht. Man muss dazu sagen: Meine Komfortzone ist winzig. Ich bin introvertiert und schüchtern, der Alltag hat also an jeder Ecke Gelegenheiten für mich parat, Dinge zu tun, die mir nicht leichtfallen. Mit einem fremden Menschen telefonieren? Horror! In ein neues Yogastudio gehen? Hilfe! Nicht umsonst arbeite ich so gern allein zu Hause – hier kann mir niemand was tun (es sei denn, das Telefon klingelt).
Meine kuschelige Komfortzone sehe ich als Fluch und Segen zugleich: Sie ist herrlich vertraut, birgt aber auch die Gefahr, dass ich mich permanent auf ausgetretenen Pfaden bewege, während tolle Chancen und Erlebnisse an mir vorbeiziehen. Als Kind habe ich mich gemütlich darin eingerichtet, war nie im Kindergarten, weil ich mich mit Händen und Füßen sträubte, war in der Schule still wie eine Maus und verbrachte die Zeit vor allem mit meinen Büchern. In der Jugend machte mich das mehr und mehr zum Sonderling, zumindest empfand ich das so. Dass ich mich dennoch strikt weigerte, Dinge zu tun, die „alle anderen“ machten, würde ich heute sogar als mutig bezeichnen. In der Raucherecke hat man mich also nie gesehen, aber auch nicht auf den Partys, was ich heute schon etwas schade finde. Fun Fact: Es kostet mich sogar jetzt Mut, das zuzugeben.
Rückblickend sehe ich es so: Ich spürte immer, was sich für mich stimmig anfühlt, und blieb mir selbst treu – das ist das Gute. Aber ich brachte mich eben auch um eine Menge neue Erfahrungen und Erinnerungen. Als ich das erkannte, begann ich, das Mutigsein zu üben. Und damit meine ich nicht, wahllos jedes Risiko einzugehen oder mich selbst und meine Bedürfnisse zu verleugnen. Stattdessen spüre ich bei jeder Gelegenheit in mich hinein, ob ich etwas tun möchte oder nicht. Und falls ich dann merke, dass die Antwort ja lautet, ich mich aber nicht traue oder Ausreden finde, mache ich mich auf die Spurensuche: Wovor habe ich konkret Angst? Was könnte schlimmstenfalls passieren? Und was im besten Fall? Viele Befürchtungen erscheinen nur noch halb so wild, wenn man sie einmal benannt hat. Oft sind die möglichen Konsequenzen gar nicht so schlimm. Und ein klarer Anreiz ist eine super Motivation dafür, über den eigenen Schatten zu springen.
Mit Mut den eigenen Weg gestalten
So kommt es, dass ich mich vor zehn Jahren selbstständig gemacht habe. Dass ich immer mal wieder allein verreise. Und dass ich mir gerade die Haare ganz kurz geschnitten habe, damit ich sie ohne lange Übergangszeit zukünftig im natürlichen Grau tragen kann.
Diese Art von Mut sehe ich als eine super Sache: Ich nutze ihn gezielt, um mir selbst zu zeigen, dass ich Dinge schaffe, die ich mich im ersten Moment nicht traue. Es geht mir nicht darum, anderen etwas zu beweisen. Und auch nicht darum, mich zu verbiegen oder unsinnigen Risiken auszusetzen. Stattdessen übe ich, meine Grenzen auszuloten und zu schauen, welche ganz vernünftig sind und welche mich daran hindern, mein Leben so zu führen, wie ich es möchte, und Dinge zu tun, die ich mir im tiefsten Herzen wünsche.
Bild @ Hello Revival via Unsplash
Portrait Catrin @ Mike Felber
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