Über diese Frage habe ich mit Shari Malzahn, Vorständin der Neven Subotic Stiftung, Dannie Quilitzsch, Coachin & Dipl.-Psychologin und der Autorin & Journalistin Maria Kapeller gesprochen. Wie erschaffen wir eine bessere Welt für uns alle?
Klimakrise, Krieg und Corona. Man weiß nicht, wo man zuerst hinschauen, welches Thema man zuerst angehen und wem man zuerst helfen soll. Irgendwie scheint die Welt aus den Fugen zu sein, vieles bricht über uns zusammen und alte Strukturen werden ordentlich durchgerüttelt. Die Frage, die über uns schwebt, lautet: Wie bekommen wir es gemeinsam hin? Reicht es hier und da zu spenden, weniger zu fliegen, mehr an sich selbst zu arbeiten und das Auto öfter stehen zu lassen? Oder braucht es unser aller langfristiges Engagement und den Willen mehr Verantwortung zu übernehmen?
Was wir oft vergessen, in vielen Ländern dieser Erde fehlt es an elementaren Grundbedürfnissen. Zack, wir drehen den Hahn auf und es kommt Wasser raus. Das ist für uns normal. Für viele Menschen, genauer gesagt 771 Millionen Menschen, ist das nicht die Normalität. Shari Malzahn arbeitet im Fundraising & Vorstand der Neven Subotic Stiftung, die sich für den Zugang zu sauberem Wasser, Sanitäranlagen und Hygiene (kurz WASH) in Kenia, Äthiopien und Tansania einsetzt. Die Stiftung hat sich entschieden dahin zu gehen, wo es an den elementarsten Lebensgrundlagen mangelt. Shari selbst schafft Begegnungen über Ländergrenzen hinweg. Sie hat interkulturelle Kommunikation und Bildung in Köln studiert und ist mit Beginn der Stiftungsarbeit zur Expertin für Entwicklungszusammenarbeit geworden.
Jeder sollte Verantwortung übernehmen
Die Folgen von fehlendem Zugang zu sauberem Wasser sind fatal: Durchfallerkrankungen, die durch verschmutztes Trinkwasser, fehlende Latrinen und mangelnde Hygiene verursacht werden, gehören zu den häufigsten Todesursachen bei Kindern unter fünf Jahren. Die knallharte Realität: Jeden Tag sterben durchschnittlich 1.400 Kinder weltweit an den Folgen von verschmutztem Wasser.
Wir kommen schnell zum springenden Punkt, der mich besonders bewegt, denn für Shari ist es eine Pflicht Verantwortung zu übernehmen. „Ich bin in einem Land aufgewachsen, in dem ich immer Zugang zu fundamentalen Lebensgrundlagen und Menschenrechten hatte. Es hat mir nie an etwas gefehlt. Deshalb ist es für mich wichtig, sich immer wieder zu verdeutlichen, dass unser Wohlstand und unser Wohlergehen hier in Deutschland nicht selbstverständlich sind. Ich bin davon überzeugt, dass ich in der Verantwortung stehe, nicht wegzusehen, sondern jeden Tag meine Möglichkeiten nutzen muss, um das Glück, das ich im Leben hatte, zu teilen.“ Damit einhergehend, kam die Einsicht: Ich bin reich und andere sind es nicht. Das ist ein Privileg und mit Privilegien kommt auch die Verantwortung, diese zu hinterfragen. Und zu verstehen, ich gehöre zu sehr wenig Prozent der Menschen, die dieses Leben führen dürfen und ich habe es nicht mehr oder weniger verdient als jeder andere Mensch.
Ich will von ihr wissen, woher diese Verantwortung und die Dringlichkeit kommen, eben nicht weg zu sehen? „Es sind unterschiedliche Einflüsse, sicher mein Aufwachsen in einer Kommune, meine Eltern war Alt-68er. Ich bin biologisches Einzelkind, habe aber gefühlt sieben Geschwister. Ich war mit sechs Monaten mit meinen Eltern, die sehr politisch waren, das erste Mal auf einer Demo. Den Grundstein haben sicher meine Eltern gelegt.“ Sie erwähnt aber auch die Menschen, die sie während ihres Studiums kennengelernt hat und die ihr Denken geprägt haben.
Eine unfassbare Zahl
Für mich ist die Zahl unfassbar. 700 Millionen Menschen, das ist unbegreiflich. Sie hat mir, seit wir an der Ausgabe sitzen, Bauchschmerzen bereitet. Shari erklärt mit: „Die Zahl konkretisiert sich durch die Lebensgeschichten. Ich lerne die Menschen kennen mit all ihren Einzelschicksalen und kann es direkt für mich in einen Impact übersetzten. Hier verändert sich jetzt der Lebensalltag, dass diese Person zum Beispiel zur Schule gehen kann.“ Ihre Aufgabe ist es, Spenden einzuholen, aber sie versucht auch Menschen mit Know-how und verschiedenen Ressourcen zusammenzubringen und für sie eine Plattform zu schaffen. Sie betont: „Eine Plattform, wo sie sich treffen und vereinigen können, damit wir gemeinsam der Zahl von 770 Millionen näherkommen.“ Klar ist, alleine ist das nicht möglich.
Die Reisen in die afrikanischen Länder haben Shari geprägt. Was am meisten hängen bleibt? Es ist die Frage, wer überhaupt zivilisiert ist. „Ich merke, dass ich vielmehr von den Menschen vor Ort lernen kann als sie von mir. Die Menschen dort haben wahnsinnig viel Stolz haben und gehen durch den Alltag, wie ich es nie könnte. Wir sind in Deutschland eine Individualgesellschaft und weit weg von einer Lebensweise, die die Gemeinschaft in den Mittelpunkt stellt. Wäre es nicht viel fortschrittlicher mehr aufeinander zu achten?“
Besondere Begegnungen
Sie beschreibt die Begegnungen mit den Menschen als unfassbar. Vor allem, weil es ein gemeinsames Verständnis gibt, ohne dass alle die gleiche Sprache sprechen. Einfach, indem man einander in die Augen schaut. Gleichzeitig, so erklärt sie mir, gibt es immer auch eine Wut in ihr. In den ländlichen Regionen vieler afrikanischer Länder laufen vor allem Frauen und Kinder tagtäglich weite Distanzen, um an Wasser zu gelangen. Die Wut entsteht, wenn sie die Wasserlöcher sieht, in die Hunde und Kühe urinieren und an denen Mädchen sitzen, die aus dieser Quelle Wasser schöpfen. Diese Situation ist genau sechs Flugstunden von uns entfernt. Shari fragt und mir laufen die Tränen, während ich tippe; „Wie zur Hölle können wir als Weltgemeinschaft akzeptieren, dass es solche Unterschiede gibt?“
Was es braucht für eine besser Welt? Shari sagt:
„Es braucht Zugang zu elementaren Lebensgrundlagen für alle Menschen. Und andere Menschen, denen es sehr gut geht, müssen etwas abgeben. Es braucht die dringende Einsicht, dass es nur zusammen geht. Wir sind alle eine Gemeinschaft, eine Weltgemeinschaft.“
Shari Malzahn
Fehler machen und daraus lernen
Auch Dannie Quilitzsch, Dipl.-Psychologin, Coachin und Gründern, spricht von der Gemeinschaft und dem großen Hebel, den es braucht, um wirklich etwas zu bewegen. Es gibt viele Dinge auf dieser Welt, die wir verändern müssen. Ihr Herz klopft seit Jahren dafür, wie wir alle gemeinsam etwas bewegen können, egal ob bei der Arbeit für Viva Con Aqua oder bei Utopia. Sie sagt: „Wir müssen uns anschauen, wie wir als Gemeinschaft eine Zusammenarbeit hinbekommen, sodass jeder einen Teil dazu beitragen kann, das bestmögliche Ergebnis im Großen und Ganzen zu erschaffen.“
Ich will mehr über den Hebel sprechen, der sie so bewegt. Was braucht es denn für die dringend notwendige Veränderung? „Es braucht immer auch Wahnsinn. Also, die die sagen, wir probieren es einfach aus, ich habe da eine Vision. Das sind Menschen, die auch die Qualität haben andere zusammenzutrommeln, zu inspirieren und zu aktivieren.“ Sie ist aber auch davon überzeugt, dass es den Einzelnen braucht. „Die eigenen Themen müssen heilen, wir müssen aufräumen, damit wir den Platz haben für das Potential, das in uns steckt. Wandel passiert, wenn wir ‚out-of-the-box‘ denken und wir können uns als Gesellschaft nur verändern, wenn wir Fehler machen und daraus lernen.“ Es ist eine Mischung aus Spiel, Neugierde und Lebendigkeit und der Möglichkeit zu lernen.
„Wir sind an einem interessanten Punkt in der Menschheitsgeschichte angekommen. Alles was normal war, wird gerade bewusst in Frage gestellt. Es ist wichtig, dass wir die Zuversicht haben es zu schaffen, auch wenn es düster aussieht.“
Dannie Quilitzsch
Wir müssen uns mit den Dingen auseinandersetzen
Auseinandersetzung und ehrliche Reflexion sind wichtige Komponenten, wenn wir Veränderungen vorantreiben wollen. „Wir können nur in der Auseinandersetzung im Miteinander und Tun Erfahrungen machen, die uns dann zurückführen auf uns selbst. Was hat dieses Tun mit mir selbst zu tun?“ Manchmal ist die Reflexion einfach, aber manchmal hat es auch mit einer inneren Haltung zu tun, unbewusste Glaubenssätze, die aufgelöst werden müssen. Dannie erklärt: „Wir haben ja viele Themen am Laufen, weil aufgrund von langen Jahren Patriarchat und Unterdrückung, grundsätzlich aufgeräumt werden muss. Das sind weniger persönliche Fehler, aber die Auseinandersetzung damit und wie sehr wir durch nicht-aktive Arbeit dazu beigetragen haben, und wie wir über Generation hinweg Denk- und Sprachmuster übernommen haben, legt nahe, dass wir uns mit der eigenen persönlichen Verantwortung auseinandersetzen müssen“. Was wir alle tun sollten? Immer wieder bestehende Haltungen hinterfragen und ehrlich zu uns selbst sein.
Ich will wissen, welches Thema sie nicht loslässt, denn bei der Arbeit für die Hilfsorganisation War Child, die sie gegründet hat, geht es um schwere Kost. Die Organisation kümmert sich unter anderem um Kinder aus bewaffneten Kriegsgebieten. „Seitdem ich mich bewusst mit meiner Spiritualität auseinandersetze, also der Frage, wie alles zusammenhängt und dem Versuch, einen übergeordneten Sinn zu finden, habe ich auch mit schweren Themen einen besseren Umgang gefunden. Ich glaube fest daran, dass wir das Potential haben, aus unseren Schicksalen etwas Zauberhaftes zu machen. Dabei bin ich mir sehr bewusst über das Privileg, das ich habe und damit auch die Verantwortung für das Schicksal derer mit zu übernehmen, die nicht in so einer privilegierten Situation sind.”
Die Sache mit dem Reisen
Klimawandel und Erderwärmung sind die Themen unserer Zeit. Am Montag erst stürzte in den Dolomiten ein riesiger Gletscher ab. Maria Kapeller ist freie Autorin und hat das Buch „Lovely Planet. Mit dem Herzen reisen und die Welt bewahren“ veröffentlicht. Ich will von ihr wissen, wie wir nachhaltiger Reisen können. Denn Reisen gehört für den Menschen seit jeher dazu, ist aber je nach Reiseform der größte Feind des Klimas und zerstört Lebensräume.
Sie sagt: „Die Frage, die wir uns zuerst stellen müssen: Warum reisen wir überhaupt? Warum hat das Reisen eine so hohe Kompensationslast? Wie können wir unser Lebenssystem und den eigenen Alltag so gestalten, dass wir nicht ständig das Gefühl haben, daraus ausbrechen zu müssen?“ Sie erklärt, es geht vielmehr darum die gesamte Gesellschaft zu transformieren und neue Werte zu definieren. Also, weg von Konsum und Wachstum. „Wenn wir nachhaltiger reisen wollen, müssen wir auch systemisch etwas ändern: die Klimawende hinbekommen, die soziale Ungleichheit bekämpfen, den Überreichtum abschaffen. Denn der Tourismus ist eingebettet in ein System. Oberste Priorität muss sein, den Planeten zu retten – dann können wir übers Reisen nachdenken.“
Reisen ist Luxus
In ihrem Buch wird deutlich, dass Reisen ein großer Luxus ist und nicht nur das, wir definieren uns darüber. Wir brechen aus dem eigenen Alltag aus, sorgen für eine neue Erlebnisdichte und zeigen die wunderbaren Erlebnisse auf Instagram. Die Österreicherin ergänzt: „So gesehen ist die nachhaltigste Reise die Fahrt mit dem Fahrrad zur nächsten Klimademo.“
Maria ruft zu einem generellen Umdenken auf, hat dafür viel recherchiert und mit ExpertInnen gesprochen. Für sie ist klar, wir können gerade in Sachen Reisen nicht so weitermachen wie bisher und nur ein „grünes Mascherl“ darumbinden.
Ab jetzt tabu – weltoffen durch die Welt jetten
Konkret bedeutet das für uns alle, wir sollten weniger reisen und wenn wir es tun, dann sollten wir es wertschätzen. Ihre Tipps: „Wenn möglich, länger bleiben. Nicht nach Destination entscheiden, sondern nach Bedürfnis und Wertvorstellungen. Nicht oder nur extrem selten fliegen. Wenn möglich, lokales Essen konsumieren, genügend Trinkgeld geben und den Menschen auf Augenhöhe begegnen.“ Sie fügt hinzu, dass Reisen tendenziell sehr einseitig, egomanisch und ausbeuterisch ist. Das Argument der Weltoffenheit zählt für sie nicht: „Weltoffenheit bedeutet nicht, gedankenlos von A nach B zu jetten und dabei genau das zu zerstören, was uns angeblich so am Herzen liegt – den Planeten. Weltoffen heißt nicht, in Mexiko mit Walen zu tauchen und zurück in Europa für deren Schutz zu spenden. Sondern gar nicht erst zu fliegen, denn das heizt den Klimawandel an und zerstört den Lebensraum der Wale. Wenn wir als Reisende die Welt verbessern wollen, müssen wir den Begriff ‚weltoffen‘ neu denken.“
Und am Ende kommen wir genau zu dem, was auch Dannie und Shari sich wünschen: Wir sollten ehrlich auf Tatsachen und Missstände schauen, reflektieren und das eigene Ego hinten anstellen. Wir müssen die Augen öffnen, aktiv werden, als Gemeinschaft zusammenrücken und das ein oder andere Privileg fallen lassen.
Titelbild @ Hans Isaacson via Unsplah
Portrait Shari @ PatrickTemme
Portrait Dannie @ Andrea Mühleck
Portrait Maria @ Jasmin Walter
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