Sandra von Zabiensky ist Anusara Yogalehrerin, passionierte tantrische Yoginī, Journalistin und Unternehmerin. In diesem Text erklärt sie , wie Tantra uns helfen kann, mit den eigenen Emotionen umzugehen.
Der Schweiß lief mir in Strömen über die Haut. Mein Fahroutfit für die Strecke Biarritz-Barcelona war schon im trockenen Zustand nicht unbedingt vorteilhaft, jetzt hing es wie eine Mischung aus nasser Sack und Ann Demeulemeester Kleiderskulptur an meinem Körper. Tief-lila Augenringe von der Anstrengungen der letzten Tage leuchteten unter meinen Augen. Die Haare sahen aus, als wäre dort etwas sehr Altes gelandet und elendig gestorben. Ich schleppte keuchend Müllsäcke, in denen sich Kleidung befand, über das flirrend heiße Pflaster in Barcelona, mein Freund neben mir die schwereren Sachen zu unserer neuen Wohnung an der Rambla Catalunya. Bis uns drei Influencerinnen den Weg versperrten: Wunderschöne Wesen in langen Kleidern, lachend, sich fotografierend. Ihr Haar schwang genauso seidig durch die Luft wie ihre vollen Brüste. Mein Freund schielte rüber. Ich strich mir eine Strähne des Haarvogels aus den Augenwinkeln und war – eifersüchtig. Fühlte mich minderwertig. Auf einen Schlag kam alles wieder hoch.
Ich weiß: Als Frau, die vor allem andere Frauen mit Yoga und Tantra ins erfüllte Frau sein begleitet und mit gestandener Praxis – wie kann ich da so etwas fühlen? Meine Antwort ist: Weil es menschlich ist.
Nicht nur in der spirituellen Szene, sondern auch ganz allgemein finden wir häufig eine toxische Positivität: neben all dem, was du im Leben in einem möglichst irren Tempo meistern musst, solltest du bitteschön auch noch gelassen und kontinuierlich happy-dankbar sein. Das ist nicht möglich. Es passieren Dinge im Leben, die uns tieftraurig hinterlassen, manche Muster werden ein ganzes Leben lang getriggert und all das darf auch sein.
Die tantrische Alchemie der Emotionen
Als ich tiefer in die tantrische Praxis eingetaucht bin, lernte ich einen ganz neuen Zugang zu meinen Emotionen. Anstatt das oft gehörte Loslassen stand auf einmal das Reinlassen aller Emotionen in den Vordergrund.
Das kann erst einmal Angst machen: Wir versuchen uns von negativ empfunden Emotionen häufig so schnell wie möglich zu befreien, durch Ablenkung oder eben auch ein Wegschicken. Die tantrische Sicht auf Emotionen hat dabei erst einmal eine neutrale Basis: Alle Emotionen sind zunächst einmal einfach nur Energie. Wie wir darauf reagieren, der Widerstand es nicht zu fühlen und welche Geschichten wir uns erzählen – das schafft das Leiden.
“Let go of the idea of healing”
Ein Satz, der mich tief bewegt hat, kam von Dr. Matt Licata: „Lass die Idee von Heilung sein.“ Es ist so befreiend zu akzeptieren, dass bestimmte Muster sich so tief in deine Seelen-DNA eingebrannt haben, dass sie immer wieder auftauchen werden. Das bedeutet aber nicht, dass wir nicht den Umgang mit ihnen lernen können.
Meine Eifersucht, die dort in Barcelona entflammte, wurde in den darauffolgenden Wochen zum Feuer. Ich fühlte mich kontinuierlich minderwertig, unattraktiv, schaute ständig, wohin mein Freund schaute und konnte nicht aufhören mich zu vergleichen, knallhart zu be- und verurteilen.
Dieses Muster stammt aus einer Zeit, in der ich jeden Tag gemobbt wurde: Ich war die Hässliche, die stinkende Sandra, das Monsterfraggle und noch viel Schlimmeres. In diese Zeit hatte ich keinerlei Rückhalt, es passierten noch weitere schlimme Dinge. Ich war isoliert und einsam, die Angst fraß mich jeden Tag auf.
In dieser Zeit entstand in mir eine tiefsitzende Furcht vor der Einsamkeit, der Ablehnung, des Verlassenwerdens. Ich nenne dieses Gefühl die „Angst vor der dunklen Zeit“.
Alles reinlassen: Die Emotionen willkommen heißen
In Barcelona wusste ich: Dies wird jetzt meine Chance sein, wieder ein Stück mehr diese Angst zu integrieren. Ich setze mich also hin und tat das, was ich seit Jahren tat: ich kontemplierte. Ich gab den Gefühlen eine Struktur. Ich ließ Liebe hineinfließen. Nicht sofort, aber mehr und mehr erkannte ich, dass meine Eifersucht ein wahnsinnig liebenswerter Mechanismus ist. Meine Eifersucht, die Minderwertigkeit, all das ist eine Art Frühwarnsystem, wenn meine Seele Angst hat, dass wieder eine dunkle Zeit kommt.
Ich führe eine Beziehung, in der ich zum ersten Mal wirkliche Intimität, Wachstum und eine solche Nähe fühle, dass es einerseits wunderschön, andererseits bedrohlich sein kann. In Situationen wie in Barcelona versuchen Muster wie Eifersucht, die dann reinkicken mich vorzubereiten: Achtung, gibt es dort eine Bedrohung? Mit diesem Wissen entstand in mir eine solche Liebe: Wie süß ist es von meinem Unterbewusstsein, dass es versucht, mich zu schützen? Was ist also die logische Konsequenz? Exakt: Reinlassen. Und wie ich reinliess. Ich fühlte alles und machte mein Herz weit. Ich überschütte alle Gefühle mit Liebe und ja, ich weiß, das klingt jetzt vielleicht durchgedreht, aber ich sprach mit ihnen. Ich erzählte ihnen, wie sehr ich sie schätzte, sie aber an dieser Stelle nicht brauche und stellte mir vor, wie ich sie in mir drin ganz eng an mich zog, in eine liebevolle, fürsorgliche Umarmung.
Tantra und ein Yoga der Emotionen
Was hat das nun alles mit Tantra zu tun? Bei all dem half mir die tantrische Praxis. Ein wichtiger Punkt in meiner Tantra-Sadhana, ist die tägliche Reflexion, warum ich tue, was ich tue, was meine Realität ist und das Hinterfragen, mit welchen Filtern ich auf die Welt gucke. Tantra leitet dich an, dich in der Tiefe zu verstehen und so Freiheit zu finden. In Bezug auf meine Emotionen ging ich tief in die Hinterfragung, warum ich mich in Barcelona so fühlte.
Der nächste Schritt war, den Emotionen eine Form, Farbe und Energierichtung zu geben sowie sie im Körper bewusst zu fühlen, eine Praxis, die sich aus dem tantrisch-tibetisch buddhistischen Dämonenfüttern ableitet.
Der dritte Schritt was das tantrische Yoga der Emotionen. In dieser Praxis geht es darum, die Emotion da sein zu lassen und mit einer „Gegen“-Emotion zu neutralisieren. Bei mir war es die Liebe, die ich nicht mal hervorrufen musste, sondern die sich ganz einfach entwickelte, als ich den Mechanismus erkannt hatte.
Innere Freiheit und Zufriedenheit
Diese drei Schritte wende ich immer an, wenn die Angst vor der dunklen Zeit hochkommt, egal welche originellen Wege sie immer wieder findet; mal ist es die Eifersucht, dann wieder etwas ganz anderes wie Kontrollsucht. Mittlerweile – und das konnte ich auch in Barcelona umsetzen – fühle ich, wenn ein altes Muster getriggert wird, aber ich handle nicht mehr danach. Ich habe keine Angst mehr vor der Angst, ich erkenne die Liebe darin und habe durch die tantrische Praxis der Emotionen eine so tiefe Sicherheit in mir gefunden. Diese Sicherheit erlaubt mir Freiheit. Freiheit von Einschränkungen wie Verhaltensmuster, die mich zuvor über Jahre heimgesucht haben. Eine Freiheit und Sicherheit, die dazu geführt hat, dass ich mein Leben mutiger, erfüllter und neugieriger lebe. Nicht immer in Glück und Liebe. Aber immer in einer tiefen Zufriedenheit.
Und ich schwöre, es fühlt sich so an: nach einem lebendigen Körper, einem wachen, klaren Geist und einem warmen, goldenen Herzen.
Über Sandra von Zabiensky:
Sandra von Zabiensky ist Anusara Yogalehrerin, passionierte tantrische Yoginī, Journalistin und Unternehmerin. Sie hat „House of Grace“ gegründet, ist Gastgeberin des gleichnamigen Podcasts, Frau, Hundebegleiterin und Freundin. Aber es gibt etwas, was sie besonders antreibt: Der tantrische Weg des mutigen Herzens.
Mehr zu den oben beschriebenen Techniken liest du in Sandras Buch: „Tantra – der Weg des mutigen Herzens. Die sinnlich-transformierende Praxis für eine neue Weiblichkeit“. Ab Januar 2023 kannst du in ihrem Live-Online-Kurs „Feminine Awakening. Lebe dein Frau sein“ in deine Emotionen eintauchen und deine Weiblichkeit mit Tantra, tantrischen Göttinnen, aber auch ganz neuen Ansätzen für dich neu erfinden.
Portraits Sandra @ Jose Walker
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