Eingewickeltes Baby auf einer Decke

Kinderwunsch – Kinderkriegen ist (k)ein Kinderspiel

Jedes 10. Paar in Deutschland zwischen 25 und 59 ist ungewollt kinderlos. Die wenigsten sprechen darüber. Unsere anonyme Autorin erzählt vom Kinderwunsch, dem Weg zur Klinik, der Behandlung und wie es sich anfühlt, auf etwas zu warten, das man sich so sehr wünscht.

Es gibt Sätze, die bekommt man als Teenie von seinen Eltern regelrecht eingeimpft. Sätze wie: „Nimm keine Drogen“, „Lass dein Glas im Club nicht aus den Augen“ oder „Verhüte!“. Während es zugegeben ein Leichtes gewesen wäre, meinem 16-jährigen Ich K. O.-Tropfen in den Drink zu kippen, habe ich Verhütung immer ernst genommen.

Zu groß war die Angst, ungewollt schwanger zu werden. Allein die Vorstellung löste viele Jahre lang eine latente Panik in mir aus. Ich weiß noch, wie ich am Ende meines Studiums dachte: Wenn du jetzt schwanger wirst, hast du zumindest eine abgeschlossene Ausbildung – typisch Beamtenkind eben.

Dass es gar nicht so einfach ist, schwanger zu werden und die Chancen pro Zyklus mit 20-30 Prozent (Tendenz mit zunehmendem Alter sinkend) recht überschaubar sind, hätte ich damals nicht gedacht. Das wurde mir erst mit 30 bewusst, als ich entschied, die Pille abzusetzen. Beinahe feierlich trat ich kurz vor meinem 30. Geburtstag mit dem Fuß auf den kleinen Treteimer im Bad und entsorgte die letzte Pillenpackung im Müll.

Die Worte: „Ich wünsche mir ein Baby“

… hätte ich damals aber nicht über die Lippen gebracht. Das klang zu bedeutend, fast schon verzweifelt. Irgendwie nach Frauen, die nur noch ein Thema kennen. Möglicherweise war der Wunsch auch einfach noch nicht so groß. Heute, zwei Jahre später, sieht das anders aus. Zum einen, weil ein Wunsch, wenn er erst einmal da ist, mit der Zeit immer größer wird. Zum anderen, weil es kaum etwas Schlimmeres gibt, als einen Wunsch, von dem man nicht weiß, ob er überhaupt in Erfüllung geht.

Laut auszusprechen, dass ich mir ein Kind wünsche, fällt mir allerdings heute noch schwer. Ich glaube vor allem aus Angst vor der Konsequenz: Wenn ich mir eingestehe, dass dieser Wunsch da ist, dass er womöglich größer ist als ich es zugeben möchte, was bedeutet es dann für mein Leben, für mein Glück und für meine Beziehung, wenn ich niemals Mutter werde?

Nächster Schritt Kinderwunschklinik

Dass es nicht so leicht werden würde, schwanger zu werden, wurde mir schon mit 28 Jahren prophezeit, als man mir die Hälfte der Schilddrüse entfernte und ich die Diagnose Hashimoto bekam – eine Autoimmunerkrankung, bei der der Körper das eigene Schilddrüsengewebe angreift. Der Grund, weshalb ich erstmals die Frauenärztin aufsuchte, war allerdings ein anderer, mein ungewöhnlich langer, bis zu 70 Tage andauernder Zyklus.

Die Diagnose kam schnell: Polyzystisches Ovarialsyndrom (kurz PCOS), eine der häufigsten Hormonstörungen bei Frauen. Dabei produziert der Körper zwar viele Eier, es kommt aber nicht oder nur sehr unregelmäßig zum Eisprung. Zu wissen, wann die fruchtbaren Tage sind, ist somit beinahe unmöglich. Um den Eizellen auf die Sprünge zu helfen, bekam ich das Medikament Clomifen. Schwanger wurde ich nicht.

In der Kinderwunschklinik sah ich uns damals trotzdem nicht. Ich schäme mich ein bisschen fürs Klischee, denn in meiner Vorstellung waren dort vor allem über 40-jährige Karrieremenschen, die plötzlich ihre biologische Uhr ticken hören. Abgesehen davon, dass das Thema „unerfüllter Kinderwunsch“ zur Kategorie der Dinge gehört, über die man sich als junges Paar in der Regel keine Gedanken macht. Natürlich wussten wir, dass es Paare gibt, die Probleme haben, schwanger zu werden, und doch war da dieser vermessene Gedanke, nicht selbst zu ihnen zu gehören.

„Das Schlimmste sind nicht die Hormone, sondern das ständige Warten“

Den ersten Beratungstermin in der Kinderwunschklinik hatten mein Mann und ich etwa ein Jahr nach dem Absetzen der Pille. Auf den Termin mussten wir knapp drei Monate warten – ein Vorgeschmack auf die Geduld, die eine Behandlung fordert. Ich glaube mittlerweile sogar, das Anstrengendste sind nicht die Hormone, die unzähligen Arzttermine oder die Tatsache, dass plötzlich alle Freund*innen um einen herum schwanger werden, nur man selbst nicht.

Noch schlimmer ist das ständige Warten. Als würde das eigene Leben stillstehen und niemand weiß, wie lange. Lohnt sich ein Umzug? Eher nicht, wer weiß, wie viele Zimmer wir am Ende brauchen. Raus aufs Land? Sollte es mit dem Kinderkriegen nicht klappen, wäre die Stadt sicher der bessere Ort für Ablenkung. Ein Jobwechsel? Eine schlechte Idee, lieber auf Nummer sicher gehen.

Hinzu kommt die finanzielle Unsicherheit. Obwohl es für Ehepaare Zuschüsse von Krankenkasse und Land gibt, bleibt eine künstliche Befruchtung eine Blackbox. Statistisch gesehen braucht es im Schnitt drei Versuche, schwanger zu werden. Aber was, wenn es am Ende mehr sind?

Wo liegt die eigene Schmerzgrenze: bei 10.000 Euro, bei 15.000 oder sogar höher? Eine Antwort haben wir nicht. Wer möchte ein solch emotionales Thema schon an ein finanzielles Limit knüpfen.

Ich weiß allerdings, dass der Punkt kommen kann, an dem wir uns diese Frage stellen müssen. Und nicht nur diese. Der noch viel größere Elefant im Raum ist: Was, wenn es selbst mit Hilfe nicht klappt? Aus medizinischer Sicht eine eher unbegründete Sorge. Schließlich gibt es Paare, die deutlich älter sind, deren Krankenakte komplizierter ist und die schon viel länger versuchen, schwanger zu werden. Aber ich müsste lügen, wenn ich sagen würde, diese Angst wäre nicht da.

Let’s talk about Sex

Vor der künstlichen Befruchtung empfahl man uns in der Klinik zunächst ein sogenanntes Zyklus-Monitoring – ein letzter Versuch, doch noch auf natürlichem Wege schwanger zu werden. Dabei werden die Eierstöcke in jedem Zyklus mit einem Hormon stimuliert, die Entwicklung per Ultraschall und Blutuntersuchung überwacht. Sind die Eizellen reif, löst man per Spritze den Eisprung aus und hat Sex. Einmal kurz nach dem Eisprung und einmal am nächsten Tag.

Mit Romantik oder Lust hat das allerdings wenig zu tun, auch wenn einen die Ärzte gern mit den Worten: „Und jetzt machen Sie sich zwei schöne Tage mit ihrem Mann.“ entlassen. An einem dieser Tage, an denen ich es mir eigentlich mit meinem Mann hätte schön machen sollen, saß ich auf dem Rückweg aus dem Büro plötzlich im Zug fest – ohne Info, ob und wann es weitergehen würde. Mit jeder Minute, die der Zug ohne sich zu bewegen im Gleisbett stand, wurde meine Verzweiflung größer. Vor meinem inneren Auge sah ich, wie sich unser Sex-Fenster langsam schloss.

Kurz bevor wir uns für eine künstliche Befruchtung entschieden, schliefen mein Mann und ich nur noch dann miteinander, wenn es notwendig – sprich ärztlich angeordnet – war.

Jedes 10. Paar ist betroffen

Statistisch gesehen sind wir nicht alleine. Fast jedes zehnte Paar in Deutschland zwischen 25 und 59 Jahren ist ungewollt kinderlos.* Viele reden bloß nicht darüber. Fängt man erst einmal an, offen darüber zu sprechen, kommen viele Geschichten ans Licht und noch mehr gut gemeinte Ratschläge: „Sieh es positiv. Zum Glück habt ihr früh angefangen, euch Hilfe zu holen“ oder „Ihr seid noch so jung“ sind Sätze, die oft von Leuten kommt, die gar nicht so genau wissen, seit wann der Kinderwunsch überhaupt besteht oder dass die Fruchtbarkeit ab 25 Jahren stetig sinkt – ob das nun gesellschaftlich betrachtet als alt gilt oder nicht. Ganz abgesehen davon, dass die Zeit in diesem Kontext relativ ist.

Dann gibt es noch diejenigen, die glauben, Ähnliches durchgemacht zu haben: „Ich kann mir vorstellen, wie du dich fühlst. Wir waren ja damals auch fast so weit, in die Klinik zu gehen“, ist ein Satz, auf den ich allergisch reagiere. Denn wer nicht wirklich in der Klinik war und zwar nicht nur zum Beratungsgespräch, wer nicht wochenlang auf die Genehmigung seines Antrages durch die entsprechenden Krankenkasse und Behörde gewartet hat und wer nicht regelmäßig zu spät auf der Arbeit erscheinen musste, weil ein weiterer Arzttermin ansteht, kann nicht nachvollziehen, wie ich mich fühle.

Am schlimmsten aber sind diejenigen, die einem das Gefühl geben, man müsse nur den Stress rausnehmen oder einen Schalter umlegen. Die einem von der Freundin der Tochter einer Kollegin erzählen, die auch in der Klinik war und bei der es nicht habe klappen wollen. Und als sie das Thema abhaken wollte, wurde sie plötzlich schwanger.

„Klar, eine Kinderwunschbehandlung ist Stress pur und Stress ist bekanntlich nie gut. Einem Paar, das einen ärztlichen Grund hat, weshalb es nicht schwanger wird, zu erzählen, es müsse nur den Druck rausnehmen, ist jedoch weder hilfreich noch zielführend.

Was dagegen hilft, ist der Austausch mit Menschen, die das Gleiche durchmachen. Zu sehen, wie viele gerade junge Menschen unser Schicksal teilen, tröstet. Ja, mehr noch, es setzt die eigene Situation in Relation. An einem Morgen vor der Klinik kam ich mit einer jungen Frau (28 Jahre) ins Gespräch, die vor Kurzem ihren vierten Embryonen-Transfer hatte. Aufgrund ihrer Endometriose hatte sie zu dem Zeitpunkt bereits zehn OPs hinter sich. Als die Periode aufgrund der Endometriose in den Bauchraum geblutet war, entfernte man ihr einen Eierstock. Doch an diesem Morgen war ihr Schwangerschaftstest positiv.

Wir sind noch nicht an diesem Punkt. Ich weiß gar nicht, auf wie viele Teststreifen ich mittlerweile gepinkelt habe, auf teure Markenprodukte mit digitaler Wortanzeige, auf günstige No-Name-Produkte und auf die, die irgendwo dazwischen liegen. Nur ein einziges Mal war eine zweite winzig schmale Linie zu sehen. Schon am zweiten Tag war sie verschwunden, als hätte ich mir all das nur eingebildet.

Happy End? Vielleicht 2023

Obwohl ich weiß, dass mein Mann sich diese Schwangerschaft genauso wünscht wie ich, ist es für ihn anders. Er ist nicht derjenige, der blaue Flecken von der Blutabnahme bekommt, der auf Teststäbchen pinkelt oder der selbst sonntags um sechs Uhr aufsteht, um sich rechtzeitig zu spritzen. Und dafür kann er gar nichts.

Das ist der Lauf der Dinge und wer Kinder hat, wird mir vermutlich sagen, dass sich diese Tatsache auch mit einer Schwangerschaft nicht ändert. In manchen Momenten ärgert es mich trotzdem. Gerade dann, wenn er es schafft, positiv zu bleiben, während ich mich in einer Mischung aus Trauer, Wut und Verzweiflung suhle.

Körperlich geht es mir trotz all der Hormonen, die ich meinem Körper in den vergangenen Monaten verabreicht habe, erstaunlich gut. Belastender ist der mentale Stress, die andauernde Anspannung, das ständige Warten. Gerne würde ich diesen Artikel hoffnungsvoller beenden, auch für diejenigen, denen es womöglich ähnlich geht.

Aber die Wahrheit ist: Eine Kinderwunschbehandlung schlaucht. Gerade dann, wenn der Erfolg auf sich warten lässt.

Zu behaupten, wir wären unserem Wunsch im vergangenen Jahr nicht näher gekommen, wäre trotzdem falsch: Am 19. Dezember hatten wir unsere erste Punktion, die Entnahme von sechs Eibläschen. Vier davon waren reif, drei ließen sich befruchten. Happy End? Vielleicht. Der Transfer wird erst im Januar stattfinden – Kryokonservierung sei Dank. Bis dahin müssen wir uns erneut gedulden.

Für das neue Jahr habe mich mir allerdings fest vorgenommen, die Zeit des Wartens zu nutzen und wieder anzufangen, Pläne zu machen. Keine großen Pläne wie ein Umzug, eher kleine: Für Juli habe ich mich für eine 100-Stunden-Yoga-Ausbildung angemeldet. Ob ich dort mit dickem Bauch auftauchen werde oder gar absagen muss, bleibt abzuwarten. Aber überhaupt einen Plan zu haben, tut gerade verdammt gut.

*Quelle: https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/familie/schwangerschaft-und-kinderwunsch/ungewollte-kinderlosigkeit/hilfe-und-unterstuetzung-bei-ungewollter-kinderlosigkeit-76012

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