Jeannette Bohne über psychedelic breath

Einmal Erleuchtung zum Einatmen bitte.

Redakteurin Jeannette Bohné sagt: Wenn alles auseinanderbricht, ist Psychedelic Breath® dein Gaffatape. Sie war zum wiederholten Male bei Eva Kazcor in Berlin und hat zu elektronischer Musik Liebe und Luft geatmet. Ein Text über Kontrolle, Vertrauen und den Menschen neben ihr.

Ein. Aus. Ein. Aus. Ein. Aus. Ein. Aus. Aus.

Ich bin aus dem Rhythmus. Ein. Aus. Ein. Aus. Nein, warte. Ein? Hinter mir atmet jemand tief ein – ich atme aus und dann höre ich das Zählen: 1, 2, 3, 4, 5 ok, jetzt also alles ausatmen und die Lunge leer lassen. Klar schaffe ich. 3 Sekunden lang. Bis der Rest der Gruppe wieder kollektiv einatmet, habe ich es schon drei Mal getan. Runde 5 startet.

Es ist ein Sonntag im Januar und ich sitze in einem nach ätherischen Ölen und Palo Santo duftenden Raum, bereit mich in Ekstase zu atmen. Auf der Suche nach Ruhe, nach Stabilität, Erleuchtung und Kontrolle. Willkommen bei Psychedelic Breath®.

Psychedelic Breath® – Beats, Liebe & Licht

Psychedelic Breath® wurde von Eva Kaczor entwickelt und verbindet altbekannte Atemtechniken mit moderner Wissenschaft zu den Klängen elektronischer Musik. Wenn Eva ihre Psychedelic Breath®-Klasse in Berlin hält, baden ihre Anhänger in Techno Beats, Liebe, Licht und zu viel Sauerstoff. Hinter geschlossenen Lidern tanzen Licht und Farbe und Türen öffnen sich. Ins Universum? Zu einem Selbst? Wie und ob Psychedelic Breath® wirkt, ist vielleicht zu gleichen Teilen Glaubens- und Wissenschaftsfrage. Dass der Körper auf langes im Schneidersitz sitzen und hyperventilieren reagiert, das ist klar. Ob sich das beängstigend, erleuchtend oder sogar schwebend anfühlt, das ist vielleicht ein bisschen eine Frage von wollen. Und ich will an diesem Sonntag im Januar.

Runde 6.

Ein. Aus. Ein. Aus. Ein. Aus. Ein. Aus.

Wenn Meditation die Kunst ist, sich nur auf den Atem zu fokussieren, dann meditiere ich gerade auf der Überholspur. Die Hände kribbeln schon. Meine Beine fühle ich schon länger nicht mehr. Mein Brustkorb arbeitet hart. Ein. Aus. Ein. Aus. Ein. Aus. Ein. Aus.

Ich lasse mich von der Musik treiben. Finde meinen Rhythmus. Ein. Aus. Ein. Aus. Ein. Aus. Ein. Aus. Meine rechte Wange wird taub. Ein. Aus. Ein. Aus. Ein. Aus. Ein. Aus. Aus. Aus. Halten.

Und ganz viel Ja zum Leben

Als ich das erste Mal auf dem Sitzkissen saß, mit krampfenden Händen, tauben Wangen und einem lauten Rauschen im Ohr, die Augen fest verschlossen, glitzernde Sterne und Funken vor meinen Pupillen, war das ein Erweckungsmoment. In Runde 10 riss plötzlich der Himmel auf, oder zumindest fühlte es sich so an. Licht überströmte und umhüllte mich, mein Körper wurde schwerelos und eine Stimme in meinem Kopf schmetterte mir ein lautes „Ja!“ entgegen.

Ja zu Liebe, ja zum Leben, ja zu allen Entscheidungen, ob schon getroffen oder noch geheim gehalten, ja zu mir. In der Schlussentspannung liefen Glückstränen. Drei Tage später saß ich im Flieger nach Rom. Negronis im Januar: einfach machen. Was folgte, waren fantastische 12 Monate. 12 Monate, in denen ich nur gemacht habe, was ich wollte, was ich fühlte. Keine Sunday Scaries, nicht mal Sundays.

Doch der Dezember hat alles auf den Kopf gestellt

Von Januar bis Ende November hatte ich mein Leben unter Kontrolle, oder fühlte mich zumindest so. Am 6. Dezember aber liege ich in einem Krankenhausbett und muss diese vertrauensvoll abgeben. Die OP läuft gut, was danach kommt, verunsichert mich aber. Wunden, die ich sehen kann und welche, die gut versteckt sind. Freunde holen mich aus dem Krankenhaus ab, sind da, als ich in meine Wohnung komme, kümmern sich, rufen an, fragen nach – alles halb so wild und trotzdem habe ich ein bisschen die Kontrolle verloren.

Jetzt gibt der Körper das Tempo vor und der will nicht so, wie ich will. Nach einer Woche sitze ich wieder am Schreibtisch und es folgt die nächste Erschütterung, als meine Chefin mir erzählt, dass wir umstrukturieren. Natürlich ist alles super exciting and a big chance. Ich denke nur „Scheiße.“

Runde 8.

Ein. Aus. Ein. Aus. Ein. Aus. Ein. Aus.

Ich fühle mich gut. Noch drei Runden. Ich komme der Erleuchtung näher. Hinter meinen Lidern bauen sich die ersten Farben auf. Hände krampfen. Mein Rhythmus ist perfekt.

Ein. Aus. Ein. Aus. Ein. Aus. Ein. Aus.

Der Raum, der Duft, die Musik und ich, wir sind eins. Und dann fängt irgendwo hinter mir jemand bitterlich zu schluchzen an.

Ein. Aus. Ein. Aus. Ich bin raus.

Exciting? My Ass

Ich bin raus, dachte ich mir auch im Dezember und war kurz davor, meinen Laptop in die Spree zu werfen. Wofür habe ich jetzt ein Jahr lang gearbeitet, wenn jetzt alles anders ist, sich alles ändert? Exciting? My Ass. Laptop in die Spree schmeißen würde übrigens auch an den OP-Wunden scheitern, die Arme weit und schwungvoll über den Körper heben, ist nämlich so ziemlich das Schmerzhafteste was ich gerade tun kann, dicht gefolgt von Liegestütze und Crunches. Also fahre ich verunsichert und wütend in die Weihnachtswoche zu meinen Eltern und lasse mich mit Rotwein volllaufen.

Runde 10.

Ein. Aus. Ein. Aus. Ein. Aus. Ein. Aus.

Die Liebe kommt. Ich kann es fühlen, ganz langsam, ganz weich, wie sanfte Wellen in einem tropischen Traum. An einem weißen Strand. Ich das Treibgut, die Wellen, die Liebe. Beine und Hände taub, Rauschen in den Ohren.

Ein. Aus. Ein. Aus. Ein. Aus. Ein. Aus. Aus. Aus. Gleich. Gleich kommt die Offenbarung.

Der Dezember-Kater

Nach dem Rotwein kommt ja bekanntlich der Kater – und der ist Ende Dezember ganz schön groß. Wenn die letzten 11 Monate ein Rausch waren, dann zahle ich jetzt die Zeche. Ich bin launisch, genervt, nichts unter Kontrolle. Wenn ich es schaffe, mich von meinem Main-Character-in-Distress-Syndrom zu lösen, erinnert mich die echte Welt daran, dass hier eh schon ganz lange nichts mehr unter Kontrolle ist. Krieg, Klima, Corona. Die Reiter der Apokalypse. Hey, Mama! Schenk mal Rotwein nach. Alles Scheiße, deine Jeannette.

Und dann erinnere ich mich an Eva, an Psychedelic Breath® an diesen Januar 2022. Jetzt muss ich es nur noch die ersten zwei Wochen 2023 schaffen. Ohne Wein. Ohne Dinge in die Spree zu werfen.

Runde 11.

Ein. Aus. Ein. Aus. Ein. Aus. Ein. Aus.

Ein. Aus. Ein. Aus. Ein. Aus. Ein. Aus. Aus. Aus. Halten.

Die Stimme flüstert leise

Moment mal! Wie halten, aber ich fliege doch noch gar nicht. Ich bade noch nicht in Licht und Liebe. Hallo!

Ein. Ein. Ein. Ein. Halten.

Ich höre ein Flüstern. Ein ganz leises Stimmlein. „Ja“ sagt das Stimmlein. „Danke“ sagt es auch. Ganz leise sagt es vielleicht auch: „Vertrauen.“

Wir gehen in die Endentspannung. Ich liege auf dem kalten Boden. Keine Tränen, dafür aber der wahnsinnige Impuls, die Hand von dem Menschen rechts von mir zu halten. Eine kleine, helle Welle berührt meine Zehenspitzen. Und dann wird mir noch was klar, etwas so banales, dass ich fast laut lache: Wenn du scheinbar nichts unter Kontrolle hast, dann kannst du immer noch deinen Atem kontrollieren. Die Lichtwelle schwappt jetzt über meinen ganzen Körper, zieht meine Mundwinkel hoch, malt die schönsten Farben hinter meine geschlossenen Lider und rauscht mit viel Glitzer über meine Kopfhaut und aus den Haarspitzen raus.

Nach der Stunde gehen der Mensch rechts von mir und ich durchs kalte, nasse Berlin. Wie ich mich fühle? Sicherer? Kontrolle zurückgewonnen? Ein. Aus. Ein. Aus. Nein, aber das ist auch OK so. Und wenn es doch alles zu viel wird, dann kann ich immer noch atmen. Und ein bisschen lieben.


Titelbild @ Nicolas Hess
Portrait Jeannette @ Helge Hoffmann


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