Dania Schiftan ist Psychotherapeutin, Autorin und Sexualtherapeutin mit eigener Praxis in Zürich. In ihren Büchern motiviert sie Frauen, die eigene Sexualität und den Orgasmus mit viel Übung zu entdecken. Im Interview haben wir mit ihr über Lust, Bewegung und Scham gesprochen.
Dania, warum bist du Sexologin geworden?
Dania Schiftan: Ich hatte Eltern, die waren sehr offen mit diesem Thema, haben mir alle Fragen beantwortet, waren sehr unkompliziert. Mein Vater war Tierarzt, meine Mutter Kinderpsychologin. Und ich habe gemerkt, dass es immer sehr unaufgeregt war.
Später, als ich an die Universität kam, hatte ich eine Langzeitbeziehung und viele Fragen zu dem Thema. Im Studium kam es dann dazu, dass ich Ärzte und Psychotherapeuten darauf angesprochen habe, weil ich Antworten wollte und alle haben mir mehr oder weniger geantwortet, dass sie es nicht so genau wissen.
Dann habe ich gemerkt, dass es mich immer mehr interessiert und ich aber vor allem meine Mutter als Gesprächspartnerin hatte, die mehr wusste als wir Studentinnen. Als Studentin müsste man ja eigentlich nicht mehr die Mutter fragen müssen.
So kam es dann dazu, dass ich meine Masterarbeit zu dem Thema gemacht habe. Ich bin dann dabei geblieben und liebe diesen Beruf auch heute noch leidenschaftlich, weil ich gemerkt habe, dass viele Menschen einen riesigen Bedarf haben und das Bedürfnis nach wertvollen und wichtigen Informationen.
Wie reagieren andere Menschen auf deinen Beruf?
Andere Menschen reagieren meist mit Interesse auf meinen Beruf. Früher, als ich noch neu in dem Berufsfeld war, war es noch aufregender. Heute ist es eher so: “Ah, spannend, erzähl mal, wie ist das so?” Daraus ergeben sich dann oft sehr spannende Diskussionen.
Was brauchen Frauen für eine erfüllte Sexualität?
Ich weiß nicht, was DIE Frauen brauchen. Ich weiß auch nicht, was DIE Männer brauchen. Menschen generell brauchen eine Mischung aus erfülltem Herz und erfüllter Genitalität. Das heißt, sowohl das Genital als auch das Herz wollen angesprochen werden, sodass eine ideale Mischung aus Erregung und Genuss herauskommt.
Das gängige Bild, was oft in Filmen suggeriert wird, vermittelt den Eindruck, dass Frauen damit zufrieden sind, wenn ihr Herz erfüllt ist und sie ihren Partner einfach wahnsinnig gern haben.
Das stimmt jedoch auf Dauer nicht, denn wenn Frauen in der Vulva und Vagina nicht viel spüren, macht ihnen die Sexualität keinen Spaß.
Wie entsteht Lust und wie kurbeln wir sie beständig an?
Darum dreht sich dann vielleicht mein nächstes Buch, weil das tatsächlich ein schwieriges Thema ist. Weil, was heißt Lust? Lust heißt Vorfreude auf das, was kommt. Und viele Frauen dürfen ihren Körper noch besser genießen lernen. Noch mehr kennenlernen, noch mehr einfordern, was ihnen eigentlich so gefällt.
Es gibt diesen Satz: Sex worth having. Das heißt, wie können sich Frauen den Sex und die Sexualität holen, die ihnen wirklich gefält.
Was ist der größte Irrglaube rund um den weiblichen Orgasmus?
Es gibt wahnsinnig viel Irrglauben rund ums Thema Orgasmus. Der größte Irrglaube ist, dass viele Frauen keinen Orgasmus haben können. Das stimmt so nicht. Fast jede Frau kann den Orgasmus lernen.
Es geht darum, dass sie dran bleibt, dass sie übt und dass sie die Schritte kennt, die man für einen Orgasmus braucht. Das ist mein erstes Buch “Coming soon – Orgasmus ist Übungssache”, weil wir es vor allem mit einem körperlichen Vorgang zu tun haben.
Es sind viele Schritte, die man machen darf, es ist ein ständiges Dranbleiben, sich kennenlernen, Freude haben und genießen. Viele Mädchen werden aber schon von kleinauf davon abgehalten sich zu entdecken und es kursiert viel Unwissen – das führt dann zu der Annahme, es geht einfach nicht.
„Die Kurzfassung ist: Wenn eine Frau ihre Vulva und das Stimulieren dort entdeckt und das auch genießt, in der Partnerschaft aber nur die Vagina einbezogen wird, wo sie selbst vielleicht noch keinerlei Erfahrungen gesammelt hat, dann kann die Vagina, aufgrund von mangelnder Übung, keine schönen Gefühle hergeben. „
Wie bleibt eine Partnerschaft trotz Kindern sexuell aktiv?
Partnerschaft und Kinder sind in der Praxis ein großes Thema, weil die meisten Menschen es gewohnt sind, Sexualität spontan zu leben und das geht mit Kindern häufig nicht mehr. Bei Paaren, die sich vornehmen, regelmäßige Paar-Dates zu machen und sich regelmäßig Zeit nehmen, kann das durchaus funktionieren.
Aber es geschieht nicht mehr von selbst und es gibt immer wieder Menschen, die denken: “Nee, das darf man doch nicht planen, das ist doch blöd.”
Wenn man als Paar aber in diesen Bereich investiert, weil es ein Teil des Liebeslebens ist, dann bleibt es auch erhalten.
Was sind die häufigsten Probleme, mit denen Menschen in Ihre Praxis kommen?
Es gibt nicht das eine Problem, mit dem Menschen zu mir in die Praxis kommen. Ich bin ja neben meiner Tätigkeit als Sexualtherapeutin auch Psychotherapeutin. Das heißt, es kommen Menschen mit vielfältigen psychischen Themen, aber auch Menschen, die ihr Leben positiver, schöner, freier gestalten wollen.
Und so ist es auch in der Sexualität. Es gibt Menschen, die kommen mit schweren Belastungen, mit Schmerzen, Traumata, Errektionsstörungen oder einfach Menschen, die merken, ich möchte noch mehr aus dem Thema Sexualität rausholen. Mehr Genuss, mehr Spielarten, mehr Neues.
Warum ist Bewegung beim Sex so wichtig?
Bewegung ist beim Sex genauso wichtig wie beim Sport, weil Sport dafür sorgt, dass die Muskulatur besser durchblutet ist und das alles fließt. Die Hormone kreisen und wir spüren mehr.
Das heißt, man kann eins zu eins übersetzen: Wenn ich dynamisch, locker jogge und so in einen Flow komme, dann fühlt sich der Körper schön, toll und weich an und wenn ich das bei der Sexualität auch integriere, dann habe ich die Chance auf ein ganzheitliches Erlebnis.
Wie können Frauen ihre Scham ablegen, sich selbst zu entdecken und zu befriedigen?
Ich glaube, Frauen müssen nicht erst ihre Scham ablegen und dann klappt alles. Scham ist für viele Frauen ein Teil davon und meiner Erfahrung nach klappt es besser, wenn man sich in kleinen Schritten daran wagt und selbst die Erfahrung macht, dass es funktioniert.
„Es hilft, sich nicht zu überfordern und auch nicht zu viel von sich zu verlangen. Aber Frau sollte sich immer wieder berühren und in sich investieren.„
Wir danken Dania Schiftan für das Gespräch!
Über Dania Schiftan:
Dania Schiftan ist Psychotherapeutin und klinische Sexologin mit eigener Praxis. Ihre Arbeit basiert auf dem Konzept des Sexocorporel, das Sexualität als erlernbar ansieht. Als Expertin für Sex und Partnerschaft hält sie Vorträge und Workshops und ist regelmässig in verschiedenen Medien zu hören und lesen. Beim Jugendsender „joiz“ stand sie mehrere Jahre vor der Kamera Frage und Antwort zu den Themen Liebe und Sex. Dania Schiftan lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern in Zürich.
Portrait Dania @ Wim Moelmann
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