Mama Joesfine Herrmann in Bali

Ruhe und Kinder. Geht das überhaupt?

Josefine Herrmann war mit Mann und drei Kindern im Alter von sechs bis 13 auf Weltreise. Jetzt lebt sie auf Bali. Dort hat sie Noise Cancelling Kopfhörer entdeckt und fragt sich, wie man als Mama von drei Kindern Ruhe findet. Ja, sag mal, Josefine, Ruhe und Kinder – wie geht das zusammen?

Ich setze sie auf und warte einen Moment. Stille. Nichts als Stille. Kann das sein? Oder sind die Kinder gerade aus irgendeinem, ehrlich gesagt, vollkommen utopischen Grund ruhig? Ich teste und nehme die Kopfhörer ab.

Sofort dringt das Gekreische erneut in meine Ohren und ich schiebe mir die angenehm weich gepolsterten Dinger hektisch über den Kopf.

Wie kann das sein, dass ich das jetzt erst ausprobiere?

Wieso habe ich nie zuvor davon gehört?

Warum ist das nicht DER Verkaufsschlager für alle Mütter dieser Erde?

Das ist der absolute Gamechanger!

In meinem Kopf bahnt sich ein trivialer Gedanke an, nimmt ein paar Abzweigungen, reift  und kommt dann zu einem Ende. Zu einem Ende!!! Ich kann einen Gedanken vollenden und ihn daraufhin sogar zu Papier bringen, obwohl meine komplette Familie um mich herum ist und zwei Drittel davon vor dem Fernseher sehr emotional ein Fußballspiel kommentiert.

Ich kann mein Glück kaum fassen. Zur Krönung lese ich noch ein paar Seiten des Buches, das seit einem halben Jahr unberührt auf meinem Nachttisch liegt.

Es ist ein Fest. Ich liebe es. Sofort nehme ich mir fünfdrilliarden Dinge vor, die ich, dank der Noise Cancelling Kopfhörer, nun schaffen kann. Befürchte aber wenig später, dass folgende ernüchternde Erkenntnis in spätestens zwei Wochen einschlagen wird: Sie können weder kochen noch einkaufen, Fahrten übernehmen, Mathe erklären, Streit schlichten, ins Bett bringen und leider auch nicht sauber machen.

Es sind eben doch nur Kopfhörer. Meine Nerven sagen trotzdem danke.

Und da ich sie jetzt auf habe, stelle ich mir die Frage, warum das so ein Thema ist: Ruhe mit Kindern. Das sind ja zwei Dinge, die man nicht miteinander in Verbindung bringen würde. Also ich nicht. Denn wenn ich meine Kinder bitte ruhig zu sein, geht exakt ab dem Zeitpunkt meiner Anfrage alles doppelt so lautstark den Bach runter. Garantiert.

Brauchen Mamas Ruhe?

Mein erster Impuls ist, ja! Aber es gibt auch Menschen, die das Gegenteil brauchen, die erst richtig aufleben, wenn es um sie herum wuselig, trubelig und laut ist. Beneidenswert.

Ich für meinen Teil gehöre nicht dazu. Allerdings habe ich das erst viel zu spät festgestellt. Unglücklicherweise, als ich schon mehrfache Mutter war, mir nie Ruhe gönnte und mich wunderte, warum meine Energie schlicht nicht mehr vorhanden war.

Dabei waren die Anzeichen da, ich habe sie nur ignoriert. Zum Beispiel, als meine südamerikanische Schwiegermutter kam, um mit mir und meinen damals zwei- und vierjährigen Jungs Plätzchen zu backen. Mir hat schon das Kneten des Teiges samt dazugehöriger Geräuschkulisse gereicht, um mein Stresslevel auf überdurchschnittliche Werte zu katapultieren. 

Aber meine Schwiegermutter erwartete das ganze Programm: laute spanische Weihnachtslieder, mitsingen, tanzen, „epa epa“ rufen und die überzuckerten Kinder, die sich den Bauch mit essbarer Verzierung vollstopften, mit noch mehr Süßigkeit füttern, um den garantiert folgenden Zuckerabfall-Meltdown in spätestens 90 Minuten noch zu boostern.

Heute, fast zehn Jahre später, weiß ich, das war zu viel.

Der und viele andere Momente, in denen ich „JA“ gesagt habe obwohl ich „NEIN“ hätte sagen sollen, um mir, meinem Körper und meinem Geist das zu geben, was er braucht:

Ruhe.
Pause.
Nichts tun.
Umgebung leise und Kopf aus. 

Aber wie zum Teufel soll das gehen, wenn bei drei Kindern immer irgendwas ist und man sein Zuhause quasi nie für sich und damit ruhig hat?

„Meditiere!“,

… schreit es mir von Ratgebern, Magazinen und den Lehrer:innen meiner Yogalehrer-Ausbildungen entgegen! Beruhige deinen Geist. Fokussiere dich auf dein Inneres. Sitze in Stille.

Ja, verdammt das möchte ich, schaffe mir ein hoffnungsstiftendes Meditationskissen an, mache es mir darauf bequem, schließe die Augen und genieße die Ruhe.

Stille.

Ungefähr zwei Minuten lang.

Bis die innere Stimme sich meldet und anfängt, mich mit Fragen des Alltags zu überschwemmen: Was gibt es heute Abend zum Essen? Muss dafür noch eingekauft werden? Morgen fünf  Euro für den Klassenausflug mitbringen. Kind Nummer drei braucht neue Wechselsachen. Mist, der Lieblingspullover ist noch in der Waschmaschine, dann wird der Abschied in der Kita Morgen schwierig. Wann war nochmal der Elternabend? Was kann ich in der nächsten Yogastunde als Denkanstoß setzen? Wie hieß nochmal der Italiener, den wir ausprobieren wollten?

Ich könnte ewig weiterschreiben, die Liste ist unendlich.

Wir Mütter funktionieren so nicht. Schalter drücken und Kopf aus, ist leider nicht in unserer Ausstattung vorhanden.

Nach fünf Minuten „in Stille“ sitzen, bin ich so erschöpft davon, meinen Fokus immer wieder auf meine Atmung zu lenken, dass ich verzweifelt aufgebe.

Ja, ich muss widerwillig zugeben, dass das nicht von jetzt auf gleich geht. Das braucht Übung. Ich muss mich darin üben, in Ruhe zu sein. Irre, aber auch keine Überraschung nach fast 14 Jahren Mutterschaft ohne bewusste Pausen, in ständiger Alarmbereitschaft und immer verfügbar.

Mit der Zeit merke ich, dass es einfacher wird.

Mit täglichem Üben werden aus 5 Minuten 10 und aus 10 werden 15. Babysteps. Und wie immer gilt, die Erwartungen nicht zu hoch zu stecken: Zehn Minuten Ruhe hier und da sind besser als gar keine und gleichzeitig ist eine Stunde Stille keine Garantie dafür, dass der Tag ansonsten flutscht wie Eis am Stiel in Kinderhand.

Und während ich die letzten Worte tippe, stelle ich mich mental darauf ein, was gleich passieren wird, wenn ich die Kopfhörer absetze. Ich zähle von 10 runter und als ich bei 0 angekommen bin, fange ich bei 10 wieder an.

3,2,1… Pause vorbei, Ton an, Mama da. 


Über Fine Herrmann:

Geboren in der DDR, aufgewachsen in kompliziertem Elternhaus in Hamburg. Ehemalige Medizinstudentin und Pessimistin, jetzt Yoga- und Atemlehrerin, Schreiberin und „still-in-progress“- Optimistin. Mutter von drei Kindern davon einem Teenie, einem mit Superkräften (andere nennen das neurodivers) und einem mit Schwerbehindertenausweis. Hat herausgefunden, dass es sich lohnt den Satz „kann man nichts machen …!“ mit einem „oder doch?“ zu beenden. Deshalb Deutschland im Sommer 2022 für ein Familiensabbatjahr mit Weltreise verlassen. Seit Sommer 2023 wohnhaft in Bali, Indonesien.


Portraits @ Adis by Bali Image Photography

3 Kommentare zu “Ruhe und Kinder. Geht das überhaupt?

  1. 👍🏼

  2. Ich „traute“ mich bisher nicht, solche Kopfhörer zu nutzen, aus Sorge, einen „Notfall“ unter den Kindern zu verpassen. Schwamm drüber, ich mache das jetzt auch! Danke für den Impuls!

  3. 👏🏻
    (Und Grüße aus dem lauten HH)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert