Kristina Koehnlein ist 40 Jahre alt, lebt in London und hat zwei Kinder im Alter von zwei und vier Jahren. Sie arbeitet in Teilzeit als Lehrerin und erzählt hier von ihrem Alltag, Schweißsocken, Dudelsack-Training und dem Brexit.
“Wie schaffst du das alles?”
Jedes mal, wenn mir jemand diese Frage stellt, würde ich am liebsten kontern mit: ”Aber was schaffe ich denn? Und was ist denn eigentlich die Definition davon, ‘es zu schaffen’?”
Ja, meine Kinder und ich überleben den Tag, wir tragen Kleidung, wenn wir aus dem Haus gehen (meistens gewaschen, nie gebügelt) und führen unserem Körper regelmäßig Nahrung zu. Aber das Bad wird nur alle zwei Wochen geputzt, abstauben einmal im Monat muss reichen, der Boden wird ja irgendwie gewischt, wenn die Kinder mit halb-nassen Schweißsocken drüberlaufen und zum Abendessen frühstücken in Form von Cornflakes & Co ist eher die Regel als die Ausnahme.
Damit ‘schaffe’ ich es vielleicht, aber ob ich es gut mache, ist eine andere Frage. Zu genügen scheint es zumindest, und das ist womöglich das, wonach man streben sollte: Es gut genug zu machen, dass es erst mal genügt. Für die Perfektionisten unter uns klingt das nun sicher sehr unambitioniert und wenig erstrebenswert. Aber Fakt ist, dass Perfektionismus und Kinder aufziehen etwa so gut zusammenpassen wie Gin und Muttermilch.
Perfektionismus in der Kindererziehung führt unweigerlich zu Frustration, denn man ist eben auch nur Mensch, und das Kind ebenso. Und die perfekte Vorzeigewohnung wie aus dem Katalog verträgt sich nicht mit Buntstiften in kleinen klebrigen Kinderhänden oder Tomatensoβe auf dem Teller eines neugierigen Kleinkindes.
Schraubt man also seine Erwartungen an sich, das Kind und seine Umgebung erst einmal bedingungslos zurück, hat man schon den ersten Schritt in die richtige Richtung gemacht.
Mozart spielt auch Dudelsack
Wenn man nun auch noch aufhört, das Kind ständig mit anderen zu vergleichen, und sich den Stress erspart, neben Kindertennis und Fuβball auch noch abstrakte Fingermalerei und Dudelsack-Unterricht zum wöchentlichen Pflichtprogramm zu machen, sieht man auβerdem einem entspannteren Alltag entgegen. Was hier zählt ist Qualität, nicht Quantität. Die Kinder können ja gerne mal ein paar Hobbies ausprobieren, aber am Ende muss entschieden werden, was fortgeführt wird. Und seien wir mal ehrlich, die wenigsten von uns züchten einen neuen Mozart oder David Beckham heran.
Ninja-Mamas brauchen auch mal Hilfe
Als Mutter hat man ja häufig das Bedürfnis, alles selbst machen zu wollen, weshalb die meisten von uns zu wahren Multitasking-Maschinen geworden sind. Und damit kriegt man dann zwar viel gebacken, aber irgendwie nichts so richtig. Aber würde man sich und anderen gegenüber eingestehen, dass man überfordert ist und Hilfe braucht, dann würde das nicht in unser Bild der modernen Mama passen, die mit der Aufgabe über sich hinauswächst. Und dabei scheinbar alles schafft, auβer sich um sich selbst zu kümmern. Aber wer sieht das schon?
Aus diesem Grund sollte man sich nie zu stolz dazu sein, um Hilfe zu fragen. Spätestens dann, wenn man die Namen aller Ninjago-Ninjas und deren ‘Powers’ auswendig kennt und den Paw Patrol Soundtrack tagelang fröhlich vor sich hin summt. Denn das bedeutet nicht nur, dass man die Kinder wahrscheinlich zu viel vor der Glotze parkt, um mal eine Auszeit zu kriegen, sondern dass man sich selbst unbedingt mal wieder unter Seinesgleichen begeben muss, um seinen eigenen Hobbies und Leidenschaften nachzugehen. Ob sich den Kopf von Kinderliedern freijoggen, alle Gedanken an die Paw-Patrol Bande beim Yoga vergessen, oder sich (pseudo-)intellektuellen Gesprächen und noch mehr Wein im nachbarschaftlichen Bücherclub hingeben – was dem Einzelnen auch immer zur Erholung dient, sollte, nein, MUSS regelmäβig eingeplant werden.
Und dann ist halt der Papa mit der Kinderbetreuung dran. Denn irgendwie wird der leicht vergessen, dabei hat in der Regel jedes Kind einen. Warum fragt ihn eigentlich nie jemand, wie er alles schafft? Und wenn nicht die Väter einspringen, dann vielleicht die Groβeltern, der Babysitter oder der zuverlässige Familienhund.
Mary Poppins meets Brexit
In London, wo wir leben, sind Nannies und Au-Pairs zum Beispiel weitaus häufiger anzutreffen, als in ‘anderen Teilen Europas’ (der Brite selbst unterscheidet ja gerne zwischen Groβbritannien und Europa, also dem europäischen Festland, und das nicht erst seit Brexit). Hat man die finanziellen Mittel dafür, ist das natürlich eine super Sache. Eine eigene Mary Poppins, die mit wehendem Schirme angeflogen kommt, und nicht nur für die Kinderbetreuung zuständig ist, sondern gleichzeitig den Haushalt schmeißt und bestimmt sogar bügeln und Abendessen kochen kann. Ganz nebenbei übernimmt sie auch noch die Gesangs-und Tanzausbildung der Kinder. Marvellous!
Mit Au-Pairs sieht die Sache leider im Moment anders aus, seit Boris und seine Clowns den Brexit heraufbeschworen haben, und damit eine Krise auf dem Kinderbetreuungsmarkt sowie tiefe Verzweiflung unter Eltern ausgelöst haben. Dennoch, wir werden es schaffen! Irgendwie.
Titelbild @ Sarah Ardin & Fotografierende via Unsplash
0 Kommentare zu “Wie Mutti alles schafft? Mit Gin und Muttermilch.”