Kolumne #embracethechaos: Instagram, einfach gelöscht.

Was passiert, wenn der eigene Instagram-Account von heute auf morgen verschwunden ist? Was macht es mit dir und deinem Leben, auf einmal nicht mehr auf einer sozialen Plattform präsent zu sein? All diese Fragen kamen auf einmal zu mir und forderten mich ganz schön heraus. Warum ich erst die Fassung verlor, sie dann doch behielt und was ich dabei über mich selbst herausfand.

Es war Samstag, der 20. Juni 2020, 10.00 Uhr morgens. Ein ganz normaler Samstag. Nein stop, normalerweise unterrichte ich vormittags Yoga, aber an diesem Samstag hatte ich frei. Ich saß mit Mann und Kind am Frühstückstisch, wir waren gerade fertig und ich öffnete Instagram auf meinem Handy. Statt dem Instagramfeed öffnete sich die Anmeldemaske. Ich gab meine Daten ein und bekam die Fehlermeldung „Fehler – Dieses Konto existiert nicht.“ Ich startete die Instagram-App neu, wieder tauchte die Abmeldemaske auf, wieder bekam ich eine Fehlermeldung. Ich wurde langsam nervös und startete meine Handy neu.

Fassung, Fassung bewahren!

Doch ich konnte mich nicht mehr anmelden. Mein Konto war von einem auf den anderen Tag verschwunden. Mein Konto mit 1.283 Followern war gelöscht. (Wie verrückt, dass ich mir keine Zahlen merken kann, aber diese genau im Kopf hatte.) Ich konnte mich weder anmelden, noch konnte jemand anders mein Profil besuchen. Alles war auf einen Schlag weg. Ich spürte einen riesigen Kloß im Hals und war geschockt. Ich hatte fast 15 Minuten lang das Gefühl, dass mir jemand den Boden unter den Füßen weg zog. Meine ganze Arbeit, alle meine Posts und Texte waren weg. Etwas, das ich über Jahre mühsam aufgebaut hatte, einfach futsch. Es fühlte sich so mies an. Noch schlimmer war das Gefühl, dass ich dachte, ein Teil von mir würde nicht mehr existieren. Als mein Mann sagte: „Warte, ich suche dich mal.“, sagte ich: „Ich existiere nicht mehr.“

Worum gehts hier? Nur ein Instagram-Account.

Ich musste mich kurz sammeln, um mir erst mal bewusst zu machen, worum es hier ging. Ich bin Yogalehrerin, schreibe einen Blog und arbeite im Kommunikationsbereich. Als Instagram startete, war ich relativ schnell mit einem Kanal vertreten, weil ich auch für meine Kunden auf Zack sein wollte. Ich fing an Accounts auf Instagram zu betreuen und so war mein Profil meine Base zum Lernen. Dann entstand vor sechs Jahren mein Blog und der Instagram-Account war auf einmal nicht mehr nur privat und wurde ein Channel meines Blogs. Seitdem füllte ich ihn mit Bildern aus meinem Leben, Bildern von Reisen und ich nutzte ihn, um meine Yogastunden anzukündigen. Das ging nicht total durch die Decke, war aber mit 1200 Followern meine Base und eine Community, die ich sehr liebte. Ich hatte viel Zeit, Überlegungen und Arbeit investiert und all das war mit einem Schlag weg. 

Mir war schon länger klar, dass es da eine kleine Abhängigkeit gab. Eine Instagram-Addiction. Nach Storys, Ideen und Fotos. Nach Austausch mit anderen. Nicht umsonst schreibt Philippa Perry in ihrem Wahnsinnsbuch „Das Buch, von dem du dir wünschst deine Eltern hätten es gelesen“, dass Eltern, wenn sie dauernd ihre Smartphones nutzen, eine Leere in ihren Kindern erzeugen. Schlimm genug. Sind die Smartphones dann komplett weg, entsteht tatsächlich eine Leere. Und auf Instagram lässt sich das allemal übertragen. Das tägliche Scrallen durch Instagram ist wie eine Sucht. Eine Sucht nach Unterhaltung. Etwas, dass uns bestätigt, dass wir noch da sind. Dass jemand uns sieht und mit uns spricht. In einem Spiegel Artikel lese ich:

„Soziale Medien befördern exhibitionistisches Verhalten und ichobsessives Verhalten, denn darum geht es ja: ungefragt etwas mitzuteilen und sich dann dafür feiern zu lassen.“

Oehmke, Philipp: Gestörte Welt, in: Der Spiegel, 32/2020, 1.08.2020


Oh Gott, wie verrückt schlimm das ist, denke ich während ich diese Zeilen tippe. Ich stemme mich also an diesem Samstagmorgen erst einmal mit aller Macht dagegen, dem Ganzen zu viel Aufmerksamkeit oder Trauer beizumessen. Ich schaue meinen Mann an, ich sehe mein Kind an und ich sage laut: „Simone, es war nur ein Social Media-Account. Deine Familie ist da, du bist da. Es war nur ein f***ing Instagram-Account.“ Beide schauen mich an, als ob ich jetzt völlig durch drehe, aber es hilft. Danach wiederhole ich es noch einige Male im Geiste, wie ein Mantra. Es hilft mir, mich selbst auf den Boden der Tatsachen zu katapultieren und mir klar zu machen,  wie schlimm das Ganze auf einer Skala von 1-10 ist. Zehn ist oberschlimm, ok ich bin bei acht. 

Einmal gelöscht, ist alles weg.

Ich google „Instagram-Account gelöscht“ und finde Geschichten von Menschen, die ein lukratives Business mit ihrem Account aufgebaut haben, der von heute auf morgen einfach verschwunden ist. Ein Online-Magazin, dass gerade 10.000 Follower hatte (ab 10K darf man Links in die Stories integrieren und somit auf die eigene Website verlinken – das ist so etwas wie der Ritterschlag), verliert auf einen Schlag seine Community und Instagram interessiert es nicht die Bohne. Ist der Account einmal gelöscht, ist alles weg. Niemand reagiert. Es gibt keine Möglichkeit mehr ihn aus den Weiten des Internets zurückzuholen.

Ich denke an meine Reisefotos, an das letzte Interview mit der tollen Münchner Yogalehrerin. Ich stelle mir die Frage, was jetzt ist, wenn mich jemand sucht? Mein Kopf sagt: Nimm dich mal nicht so wichtig. Wer soll dich schon suchen? Am Sonntag schreibt mir die erste Freundin, dass sie mich nicht finden kann. Ich freue mich ein bisschen. (In Social-Kreisen postet man danach sowas wie: „Viele Leute vermissen meinen Kanal.“ Übertreibung  und Überhöhung gehören eben dazu.)

Ein Zeichen für mehr Offline-Zeit?

An diesem Samstagvormittag verliere ich mich in meinen Gedanken. Ich grübele und finde es verrückt, wie sehr die Tatsache, dass ein Social-Media-Profil verschwunden ist, mir auf die Stimmung schlägt. Ich bin mir sehr bewusst, dass ich das nicht möchte. Ist es nicht viel eher ein Zeichen, dass auf einmal mein Facebook- und mein Instagram-Account verschwunden sind? Ein Zeichen für mehr „Offline-Zeit“? Ein Zeichen für einen digitalen Neu-Anfang? Facebook hat mich schon länger nicht mehr interessiert. Aber Instagram war ein täglicher Begleiter, weil ich es eben nicht nur privat genutzt habe, sondern es auch Teil meiner beruflichen Identität war. Aber die hört doch jetzt damit nicht auf, oder? Nein, das tut sie nicht, denn es kommen weiterhin gleich viele Menschen in meine Yogastunden. 

Während wir an diesem Samstagnachmittag im Park sitzen, nehme ich keine Stories auf. Ich scralle auch nicht durch irgendeinen Feed. Ich bin im Hier und Jetzt – so, wie ich es mir wünsche und wie wir es im Yoga beständig predigen. Dieser Wunsch immer vollständig anwesend zu sein, ist einer der Gründe, warum ich Yoga praktiziere. Verrückt, dass man parallel ein Instagramprofil bedient, dass genau dagegen lenkt. Wer war ich also ohne Instagram? Eine anwesende, präsente Mama und Ehefrau, die in den Wochen danach viel mehr um sich herum wahrnahm als zuvor. Die mehr zuhörte und auf einmal mehr erledigt bekam. Die nicht gedankenverloren durch irgendeinen Feed wischte, sondern auf einmal mehr Unterhaltungen hatte und weniger abgelenkt wirkte. Es fühlte sich an, als wäre ich ein paar Kilo leichter geworden. 

Alle Erinnerungen und Bilder im Kopf

Im Yoga lernen wir jeden Tag und jedes Mal, wenn wir auf die Matte gehen, dass sich alles immer verändert. Nichts bleibt, wie es war. Dazu gehört es wohl auch, dass man eine digitale Identität gehen lassen muss. Jeden Tag denken wir tausend neue Gedanken, manche bleiben, neue kommen dazu. Wir lernen Gleichmut, loslassen und nicht anzuhaften. All das konnte ich auf einmal anwenden als das Konto weg war. Ich frage mich so oft nach den Früchten meiner Praxis, wenn ich schreiend im Chaos meines Lebens stehe, aber da waren sie. Ich konnte akzeptieren und los lassen. Vielleicht auch, weil ich im Geiste schon wieder Neues ausheckte. Und weil all die Erinnerungen an Reisen und Momente meines Lebens sowieso in meinem Kopf und im Herz gespeichert sind. Da sind sie eh am besten aufgehoben.  

Um es mit Sidos Worten zu sagen: „In einem schwarzen Fotoalbum mit ’nem silbernen Knopf, bewahr‘ ich alle diese Bilder im Kopf …“

Herzlichst,
deine Simone

Titelbild © Roberto Nickson via Unsplash

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