Portraits von Laura Ritthaler und Dr. Gerhard Huhn. Im Hintergrund eine Frau tanzend auf der Straße

Hallo du, hallo 2022 – schon im Flow?

Was bedeutet das eigentlich, Flow? Und wie kommen wir im neuen Jahr entspannt in eine Art Glücksgefühl? Wir haben mit den Gründern der Flow Akademie, der Diplom-Psychologin Laura Ritthaler und dem Autor und Coach Dr. Huhn, gesprochen.

Während ich die erste Woche des neuen Jahres auf Fuerte Ventura verbracht habe, kreiste mir beständig eine Frage durch den Kopf: Was brauchen wir eigentlich, um zu Beginn des Jahres in einen guten Flow zu kommen? Und was ist eigentlich dieser Flow, den wir uns wünschen? Für mich ist es die Vorstellung, das gefühlt alles wie von selbst läuft. Wir geben uns hin, gehen mit und etwas Wunderbares entsteht.

Ich kam nicht richtig raus aus dem alten Jahr – die Tage zwischen den Jahren waren so zäh wie Kaugummi. Ich war müde und konnte mich kaum zu etwas aufraffen. Auch die folgenden Tage des neuen Jahres waren nicht viel besser. Ich konnte kaum abschalten, weil viele Vorbereitungen und Todo‘s in meinem Kopf herumschwirrten. Ich war also nicht in einem Zustand tiefen Glücks oder erfüllt von einem leichten Wohlgefühl. Eher schwirrte ich zwischen zwei Polen.

Urlaub und Flow gehen oft nicht zusammen

Wenn wir Laura Ritthaler, Coachin & Diplom-Psychologin, glauben, dann ist es gar nicht so ungewöhnlich, dass wir im Urlaub nicht wie erwartet in einen Flow-Zustand kommen. Vielmehr tritt der Zustand ein, wenn wir einer erfüllenden Tätigkeit nachgehen und ganz in ihr versinken. „Ich komme zum Beispiel in ein Flow-Gefühl, bei meiner Arbeit als Dozentin, Therapeutin und Coachin. Außerdem beim Tanzen zu sehr lauter Musik mit viel Bass, wenn ich die Augen schließe. Oder auch auf der Liege nach dem dritten Sauna-Aufguss. Mir hilft es sehr, wenn ich ohne Handy bin, den Fokus auf mein Gegenüber richte oder auf die Musik und meinen Körper.“

Lauras Antwort zeigt, wir alle brauchen etwas anderes, um in den Flow zu finden. Sie ergänzt: „Den meisten Menschen fällt es so schwer in den Flow zu kommen, weil sie viel zu wenig Wissen über die persönlich ausgeprägten Talente, Gefühle und Bedürfnisse haben.“ Ich denke darüber nach, was meine Talente, Gefühle und Bedürfnisse sind. Und ja, während ich hier in Fuerte Ventura auf der Terrasse sitze, der Wind mir um die Ohren pfeift und ich diesen Text schreibe, bin ich im Flow. Ich gehe mit den Gedanken und Worten, ich korrigiere oder kontrolliere nicht, ich lasse mich beim Schreiben ein Stück weit treiben. Das ist jedoch nicht immer so, denn manchmal ist so ein Text harte Arbeit oder es kommt etwas an die Oberfläche das sich nicht nach „Fließen“, eher nach Verarbeiten, anfühlt.

Wenn die Wochen stressig sind, das Kind murrt und der Job nervt – dann wünsche ich mich in den Flow einer geliebten Tätigkeit. Doch wieviel ist normal? Erwarten wir zu viel, wenn wir öfter nach diesem Glücksgefühl streben? Laura Ritthaler sagt: „ Auch das ist individuell ganz unterschiedlich. Ich persönlich brauche relativ viel von der körpereigenen Droge Dopamin (wird auch das Begeisterungshormon genannt), jemand anders braucht vielleicht mehr Ruhe und dann mehr das Zufriedenheitshormon Serotonin (hier könnte Meditation oder eine beruhigende Massage besser funktionieren).“

Der Flow Begriff nach Mihaly Csikszentmihalyi

Den Flow Begriff hat übrigens Mihaly Csikszentmihalyi geprägt. Schon lange steht sein dickes Buch „Flow und Kreativität – Wie sie ihre Grenzen überwinden und das Unmögliche schaffen“ bei mir im Regal, auch weil ich mich im Rahmen von Yoga immer mal wieder mit dem Begriff auseinandergesetzt habe. Er definiert Flow als „Zustand des Glücksgefühls, in den Menschen geraten, wenn sie gänzlich in einer Beschäftigung aufgehen.“ Wir sind dann versunken in eine Tätigkeit, nehmen gar nicht wahr, wie die Zeit vergeht und vergessen alles um uns herum. Die Diplom Psychologin erklärt mir: „Wir erreichen diesen Zustand nahezu euphorischer Stimmung meistens nicht beim Nichtstun oder im Urlaub, sondern wenn wir uns intensiv der Arbeit oder einer schwierigen Aufgabe widmen.“

Das Buch „Flow. Das Geheimnis des Glücks“ von Mihaly Csikszentmihalyi fasst die jahrzehntelange Forschung über die positiven Aspekte menschlicher Erfahrungen zusammen: Freude, Kreativität und den Prozess vollständigen Einsseins mit dem Leben. Der Autor erklärt, dass es keinen Königsweg zum flow gibt, weil unsere Einzigartigkeit einen ganz individuellen Zugang erfordert. Wer aber schon mal versteht, was der Flow ist, dem ist es auch möglich, das eigene Leben zu verändern. Das spornt doch schon mal an.

Mich überrascht: Die Veränderungen hängen nicht so sehr von äußeren Ereignissen ab, sondern davon, wie wir sie deuten. Glück ist demnach ein Zustand, für den man bereit sein muss, den wirklich jeder kultivieren und für sich verteidigen kann. Wenn wir lernen unsere innere Erfahrung zu kontrollieren, können wir also auch unsere Lebensqualität bestimmen.

Ein Resonanzgefühl an Stimmigkeit

Wie gut, dass ich darüber mit dem Experten Dr. Gerhard Huhn quatschen durfte. Dr. Huhn ist Coach und Managementtrainer, Gastdozent an nationalen und internationalen Universitäten, Autor mehrere Bücher und Fachartikel und beschäftigt sich seit fast 40 Jahren mit den praktischen Aspekten der Gehirnforschung.

Ich frage ihn, warum er so erstrebenswert ist, dieser Flow-Zustand? Er erklärt mir: „Bei der Erfahrung des Flow geht es darum, einen Anteil unseres eigenen Feedbacksystems wahrzunehmen. Dieses Rückkoppelungssystem signalisiert uns in jedem Moment unseres Lebens den jeweiligen Grad an Lebensqualität. Wenn das, was wir tun zu uns passt, also ein Resonanzgefühl von Stimmigkeit auslöst, dann empfinden wir eine Leichtigkeit, eine Beseeltheit, ein Glücksgefühl.“

Dieser Zustand ist nicht nur an sich erstrebenswert, sondern wir befinden uns dann auch in einem gesunden Modus und da wollen wir ja hin. Neben seiner Arbeit als Coach und Autor hat der promovierte Jurist außerdem die Flow Akademie gegründet. 1995 hatte er übrigens die Ehre den Erforscher des Flow Phänomens, Professor Mihaly Csikszentmihalyi, anlässlich eines Vortrages in Berlin persönlich kennenzulernen. Mit Hilfe des Flow Konzepts soll Coaches eine passende Zusatzqualifikation an die Hand gegeben werden und Führungskräfte können mit Hilfe des Ansatzes einen Stil entwickeln, der den Fokus auf ein gesundes und zukunftsfähiges Engagement der Mitarbeiter legt.

Aber wie oft setzt er denn nun ein, der Flow? „Sie müssen verstehen, der Flow ist kein erstrebenswerter Dauerzustand. Flow ist von der Erfüllung mehrerer Voraussetzungen abhängig, die viel mit dem Grad an Komplexität des einzelnen Menschen, von äußeren Bedingungen, dem jeweiligen Wissen und dem Bewusstsein abhängen können. Ein Flow kann völlig unerwartet eintreten und in unterschiedlichen Stärkegraden geschehen. Wenn ich mit Menschen arbeite, also etwas tue, das in meinen Augen sinnvoll ist und für das ich eine Begabung habe, befinde ich mich über längere Zeit im Flow-Zustand.“

Die Balance aus Unterforderung und Stress

Die große Frage, wenn man etwas tiefer in dieses Thema einsteigt, lautet, wie wir es schaffen in eine Balance zwischen Unterforderung und Stress zu kommen? So gut die Frage, so tief geht sie auch und besagter Professor mit dem unaussprechlichen Namen hat 50 Jahre seines Lebens daran geforscht. Eine kurze Antwort wird demnach dieser Frage nicht gerecht, aber Dr. Huhn verweist dennoch auf folgende Punkte: „Menschen haben häufiger Flow-Erfahrungen der Leichtigkeit, wenn sie in der Lage sind, sich klare Ziele zu setzen, deren Verwirklichung möglich, aber nicht sicher ist. Außerdem bedarf es klarer Kriterien, mit denen man feststellen kann, ob man sich dem Ziel nähert oder entfernt. Eine weitere Voraussetzung ist die Fähigkeit, sich auf die jeweilige Aufgabe hundertprozentig zu konzentrieren. Die vierte Voraussetzung besteht darin, dass die eigenen Fähigkeiten soweit entwickelt sind, dass man bei der Verfolgung des Zieles eine anregende Spannung, aber keinen Stress verspürt.“

Dr. Huhn empfiehlt, dass wir viel ausprobieren und uns vor allem in der Wahrnehmung der Rückkoppelungssignale unseres Körpers und unseres Nervensystems schulen. Besonders hilfreich ist es auch, wenn wir uns auf unsere Stärken, Begabungen und Talente fokussieren und unser Ziele auch danach auswählen. „Talente entwickeln sich nach dem heutigem Stand der Erkenntnis in den ersten 15 Lebensjahren als Potenziale. Zu Stärken werden sie, wenn wir die Potenziale auch nutzen.“

Beim Lesen des Textes wird mir klar, wie schön dieser Flow ist. Dieses Eins-Sein mit einer Tätigkeit, mit einer Sache, die wir lieben, die uns anspornt. Es bleibt zu ergänzen, dass die Tätigkeiten, die uns ein Flow Gefühl bescheren, nicht immer die sind, von denen wir auch leben können. Aber es lohn sich dran zu bleiben, sich selbst Jahr für Jahr besser kennen zu lernen und die Dinge zu tun, die uns beleben und Kraft schenken. Denn ausgebrannt einer Tätigkeit nachgehen, die uns unglücklich macht, ist auf lange Sicht, nicht der Weg zum Glück. Oftmals finden wir erst durch Ruhe und Müßiggang heraus, was wir wirklich lieben und was uns erfüllt.

Buchtipps:

Flow. Das Geheimnis des Glücks von Mihaly Csikszentmihalyi
Das Audible Hörbuch „Selbstbestimmt leben – selbstbestimmt arbeiten“ von Dr. Huhn erscheint im Februar.

Titelbild @ Clay Banks
Portrait Laura Ritthaler @ Chiara Bonetti
Portrait Dr. Gerhard Huhn @ Chiara Bonetti

0 Kommentare zu “Hallo du, hallo 2022 – schon im Flow?

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert