Autorin Maria Kapeller

Interview mit Autorin Maria Kapeller – Wie können wir nachhaltig Reisen?

Reisen lieben wir. Aber in Sachen Klimakrise wird es eng. Wie können wir nachhaltig reisen? Das haben wir die österreichische Autorin Maria Kapeller gefragt, die sich in ihrem Buch „Lovely Planet“ kritisch mit gängigen Reisegewohnheiten auseinandersetzt und gemeinsam mit ExpertInnen aus Psychologie, Philosophie und Nachhaltigkeit nach neuen Reisewegen sucht.

Frau Kapeller, warum reisen wir so viel und achten dabei so wenig auf die Umwelt?

Warum wir reisen, hat viele Gründe. Früher waren wir Nomaden, heute sind wir sesshaft. Aber das Unterwegssein ist uns geblieben. Nur war es nie so umweltschädlich wie heute. Wir reisen heute unter anderem, weil wir süchtig nach Glücksgefühlen sind, dem anstrengenden Alltag entkommen wollen und weil Reisen uns eine globale Identität verschafft. Das sind unsere Prioritäten. Wie es der Umwelt und anderen Menschen geht, nehmen wir deshalb weniger wahr. Wir verdrängen die schädlichen Auswirkungen unserer Reiselust gerne, weil das Reisen eine so große Bedeutung für uns hat.

Was bedeutet das Reisen für Sie persönlich?

Ich denke, das hat sich mit den Jahren geändert. Als junger Mensch hat Reisen für mich bedeutet, neue Sinneseindrücke zu gewinnen, Begegnungen mit fremden Menschen zu haben, aus der Komfortzone zu treten und dabei sehr viel über mich selbst zu lernen. Ich wollte etwas erleben und war neugierig auf die Welt. Ein Teil dieser Bedeutung ist gleichgeblieben. Heute reise ich aber seltener, bewusster, langsamer und ein Stück weit mehr um mich zu erholen und abzuschalten, als um etwas Aufregendes zu erleben.

Glauben Sie, dass die meisten Menschen nur einer Instagram-Inspiration folgen und das Reisen als Alltagsflucht nutzen?

Ob die meisten Menschen das tun, kann ich nicht beurteilen. Was ich im Bekanntenkreis so mitbekomme, dient Instagram durchaus als Inspiration. Man möchte besonders schöne, besonders fotogene Orte aufsuchen, die einem selbst einen Hauch von Glanz verleihen. In meinem Buch erwähnte ich eine britische Studie, der zufolge gerade jüngere Reisende die „Instagrammability“ einer Destination als Entscheidungsfaktor für eine Reisebuchung heranziehen. Dass wir Menschen das Reisen als Alltagsflucht nutzen, ist sicher so. Kein Wunder: Wir sitzen den ganzen Tag in stickigen Büros, bekommen kein Sonnenlicht ab, stehen privat und beruflich unter Druck und Stress, sind von Asphalt und Beton umgeben. Kurzum: Wir halten uns nicht artgerecht. Deshalb hat der Urlaub, das endlich wieder mal Sein-Dürfen (in der Natur) einen so hohen Stellenwert. Das Reisen muss kompensieren, was sonst im Leben alles nicht befriedigend läuft.

Was ist der „Tourist Gaze“?

Der Begriff kommt aus der Tourismusforschung und beschreibt den „touristischen Blick“, mit dem wir Reisende in der Welt unterwegs sind. Wir beobachten unsere Umgebung und suchen stets nach etwas, was besonders spannend oder exotisch ist. Wir wollen Attraktionen, Besonderes, Bemerkenswertes sehen. Dabei interpretieren wir die Fremde so, wie wir sie gerne hätten. Wir projizieren unsere Wünsche auf die Urlaubsdestination – und so nehmen wir sie dann auch wahr.

Wann hat sich das Reisen zu einem Statussymbol entwickelt und welche Rolle spielt SoM dabei?

Reisen ist heute zum herkömmlichen Konsumprodukt geworden. Und viele Menschen glauben, wenn sie etwas besonders Teures, Luxuriöses oder Ausgefallenes kaufen, erhebt das ihren Status. Das liegt daran, dass wir uns selbst und anderen Menschen soziologisch betrachtet immer eine Geschichte über uns selbst erzählen. Und zwar, indem was wir tun und welches Bild wir nach außen abgeben. Die „Sozialen“ Medien sind natürlich die perfekte Plattform dafür, sich selbst als luxuriöse Jetsetterin oder naturnahe Backpackerin zu präsentieren. Man kann sich so darstellen, wie man eigentlich gern sein oder leben würde. Man konstruiert das eigene Leben medial.

Wie können wir nachhaltiger, umsichtiger und verantwortlicher reisen?

Die Frage, die wir uns zuerst stellen müssen: Warum reisen wir überhaupt? Warum hat das Reisen eine so hohe Kompensationslast? Wie können wir unser Lebenssystem und den eigenen Alltag so gestalten, dass wir nicht ständig das Gefühl haben, daraus ausbrechen zu müssen? Im Prinzip geht es darum, unsere Gesellschaft zu transformieren, neue Werte zu definieren – weg von Konsum und Wachstum. Wenn wir nachhaltiger reisen wollen, müssen wir auch systemisch etwas ändern: die Klimawende hinbekommen, die soziale Ungleichheit bekämpfen, den Überreichtum abschaffen. Denn der Tourismus ist eingebettet in ein System. Oberste Priorität muss sein, den Planeten zu retten – dann können wir übers Reisen nachdenken. So gesehen ist die nachhaltigste Reise die Fahrt mit dem Fahrrad zur nächsten Klimademo. Und wir können uns mit uns selbst konfrontieren: Wer bin ich eigentlich, wenn ich mich nicht mehr durchs viele Reisen identifiziere? Kann ich ein gelungenes Leben haben, auch wenn ich das Taj Mahal nicht gesehen habe? Muss ich in den Regenwald reisen nur um zu merken, dass er schützenswert ist? Welche Werte habe ich und wie lässt sich das mit meinen Reisen vereinbaren?

Haben Sie trotzdem ein paar konkrete Tipps?

Die Tipps für ein verträglicheres Reisen kennen wir alle. Man muss sie nicht neu erfinden. Sie wirken aber fad und wenig attraktiv. Lieber wollen wir so weitermachen wir bisher, nur mit „grünem Mascherl“. Konkrete Tipps sind: Weniger reisen. Wenn möglich, länger bleiben. Nicht nach Destination entscheiden, sondern nach Bedürfnis und Wertvorstellungen. Nicht oder nur extrem selten fliegen. Kleinere, familiengeführte Unterkünfte im Altbestand großen, neu gebauten Hotelkomplexen vorziehen. Wenn möglich, lokales Essen konsumieren. Genügend Trinkgeld geben. Den Menschen auf Augenhöhe begegnen. Das Privileg des Reisens wertschätzen.

Wie hat sich ihr Blick aufs Reisen durch das Buch und ihre Auseinandersetzung damit verändert?

Mein Blick auf das Reisen hatte sich vorher schon verändert. Mit den Jahren ist mir vieles aufgefallen, was mich zum Nachdenken gebracht hat. Aber natürlich hat die aktive Auseinandersetzung mit dem Thema vieles noch geschärft oder verdeutlicht. Im Prinzip hatte ich sehr viele Fragen und habe deshalb begonnen, zu recherchieren und mit Expert*innen zu sprechen. Nicht alle Antworten spiegeln meine persönliche Meinung wider. Aber ich finde es wichtig, ehrlich hinzuschauen und einen Diskussionsraum zu öffnen. Was ich vor dem Buch nicht wusste, ist etwa, dass Fliegen tatsächlich das schädlichste ist, was ein Mensch tun kann – noch dazu mit wenig Geld. Das hat gesessen.

Fliegen ist immer noch hoch im Kurs – wie sinnvoll sind Kompensationszahlungen?

Wer eine Kompensation zahlt, investiert ein bisschen Geld in Projekte, die neue Emissionen vermeiden sollen, etwa Solaröfen, oder CO2 binden sollen, etwa Aufforstung. Das klingt gut, ist aber wenig sinnvoll. Der Schaden, also der hohe Ausstoß an CO2-Äquivalenten, ist ja trotzdem da. Die Projekte wären oft sowieso durchgeführt worden. Häufig sind sie nicht zielführend, etwa wenn beim Aufforsten Monokulturen gepflanzt werden oder die Bäume frühzeitig wieder gefällt werden. Außerdem leistet diese Zahlungen ohnehin nur ein extrem geringer Prozentanteil von Flugreisenden. Und überhaupt: Warum sollen Menschen irgendwo in Afrika Energie einsparen und Wälder pflanzen, nur damit wir weiter ins Flugzeug steigen können?

Wie reisen Sie aktuell und was bedeutet die Slow-Travel Philosophie?

Wenn wir über eine Transformation des Reisens sprechen, müssen wir auch sagen: Der erste Schritt ist, weniger zu reisen. Ich bin früher häufiger gereist und natürlich auch geflogen. Das hat sich geändert. Seit mehreren Jahren mache ich nur mehr eine längere Reise pro Jahr, wo ich mir genügend Zeit nehme und mit Zug und Bus anreise. Zwischendurch mache ich kleinere Reisen in die Umgebung, etwa mehrtätige Wanderungen. Slow Travel, also Langsamreisen, ist für mich zugleich die verträglichste Form des Reisens. Im Prinzip geht es um den Faktor Zeit: genügend Zeit für die terrane Anreise, fürs Unterwegssein, fürs bewusste Genießen, für Begegnungen, für unvorhergesehene Momente etc. Natürlich kann man jetzt sagen: So viel Zeit hat nicht jeder! Aber Zeit ist relativ, auch in wenigen Tagen kann man auf diese Weise unterwegs sein. Dann halt eben eher in der näheren Umgebung. Reisen heißt für mich auch, in der Früh im Wald spazieren zu gehen oder eine Notreisende auf meiner Couch schlafen lassen.

Warum ist Dankbarkeit wichtig, wenn wir auf Reisen sind?

Wer viel und häufig reisen kann, nimmt das Unterwegssein oft als ziemlich selbstverständlich hin. Das ist es aber nicht. Wer reist, ist extrem privilegiert – egal, ob Luxusauszeit oder Backpackingtrip. 90 Prozent der Menschen haben nie ein Flugzeug von innen gesehen. Viele Menschen haben weder einen Reisepass, der ihnen viele Einreisemöglichkeiten bieten würde, noch genügend Urlaubstage und Geld, um überhaupt zu reisen. Wenn wir uns das bewusst machen, sind wir automatisch bescheidener, dankbarer und zufriedener. Das sind Eigenschaften, die wir als Reisende auf jeden Fall gebrauchen können.

Brauchen wir das Reisen, um eine bessere Welt zu erschaffen?

Der Tourismus ist Teil eines sehr unfairen, auf Konsum und Wachstum basierenden Weltsystems. Das Reisen ist tendenziell sehr einseitig, sehr egomanisch, sehr ausbeuterisch.

Wir behaupten aber gern, dass uns das Reisen „weltoffen“ macht. Weltoffenheit bedeutet aber nicht, gedankenlos von A nach B zu jetten und dabei genau das zu zerstören, was uns angeblich so am Herzen liegt – den Planeten. „Weltoffen“ heißt demnach nicht, in Mexiko mit Walen zu tauchen und zurück in Europa für deren Schutz zu spenden. Sondern gar nicht erst zu fliegen, denn das heizt den Klimawandel an und zerstört den Lebensraum der Wale. Wenn wir als Reisende die Welt verbessern wollen, müssen wir den Begriff „weltoffen“ neu denken. Dann bedeutet er vielmehr, ehrlich auf die Tatsachen zu schauen, zu reflektieren und sein Ego aus der Sache herauszunehmen. Reisende haben ein großes Potenzial, an einer besseren Welt mitzuwirken. Dafür müssen wir aber uns selbst und das Reisen neu denken.


Über Maria Kapeller:

Die Österreicherin Maria Kapeller hat in Salzburg Kommunikationswissenschaft studiert und davor in London und Nordirland gelebt. Sie arbeitet als selbstständige Texterin, freie Journalistin, Autorin und betreibt das alternative Online-Reisemagazin www.kofferpacken.at. Sie hat das Buch „Lovely Planet. Mit dem Herzen reisen und die Welt bewahren“ (Verlag K&S) veröffentlicht.

Titelbild @ Jasmin Walter

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