Annette Hartwig über das OM

Ooooohm oder Auuuhm? Wie wird das Om eigentlich richtig ausgesprochen?

Die Sache mit dem Ooohm. Die Schülerin neben einem ohmt endlos lange und singt mehr ein Auuum, wieder eine andere summt es kurz und betont das O. Verwirrung bei uns – wie wird das Om denn nun gesprochen und gechantet und überhaupt. Wir haben die langjährige Ashtanga-Lehrerin Annette Hartwig, die in Portugal lebt zur Bedeutung des Om befragt.


In alten Schriften ist oft von der Erschaffung des Universums durch Klang oder kosmische Schwingungen die Rede. Seit der vedischen Ära wird davon ausgegangen, dass bestimmte phonetische Klänge, wenn sie in bestimmten Abfolgen gesungen werden, eine tiefgreifende Wirkung auf uns und unsere Umgebung haben.

Diese Klänge (Mantra) werden mit dem ursprünglichen, nicht materialisierten Wort, dem vāc, in Verbindung gebracht, das für die Erschaffung des Universums verantwortlich ist.

Im Hinduismus, im Buddhismus und in verschiedenen spirituellen Traditionen gibt es eine Silbe (Pranava) sozusagen ein besonderes und universelles Konzept von Klang oder ein Symbol, das alles im Universum durchdringt. Dies ist die Vibration von OM.

Die Bedeutung des OM

OM wird manchmal als Bija- oder Ursprungs-Mantra betrachtet, das ein kraftvolles und schwungvolles „Ja” zum omnipräsenten Bewusstsein oder zur Essenz des Universums symbolisiert. Jedes Mal wenn wir OM singen, können wir diese energetische Verbindung mit dem ursprünglichen, weiten Feld – aus dem alle Schwingungen hervorgehen – wahrnehmen.

Je nach kultureller Tradition, persönlicher Vorliebe und Kontext wird dieses Pranava als „Aum“ oder „Om“ geschrieben, wobei beide Schreibweisen korrekt sind.

„OM“ ist eine vereinfachte Darstellung von „Aum“.

OM und seine vier Silben

OM besteht aus vier Silben: A, U, M und einer stummen/stillen Silbe. Jede dieser Silben verkörpert śakti (göttliche Energie) und hat natürlich eine tiefe symbolische und philosophische Bedeutung:

Der Klang „A“ stellt den Anfang oder die Schöpfung dar und symbolisiert den Wachzustand des Bewusstseins, den physischen Bereich und die materielle Welt. Er wird auch mit Brahma assoziiert, der Hindu-Gottheit, die für die Schöpfung verantwortlich ist.

Klang „U“ bedeutet Bewahrung oder Erhaltung und steht für den Traumzustand des Bewusstseins, das subtile oder astrale Reich und das Reich der Gedanken und Gefühle. Dieser Klang wird mit Vishnu assoziiert, der Hindu-Gottheit, die für die Bewahrung zuständig ist.

Der „M“-Klang steht für die Auflösung und symbolisiert den tiefen Schlafzustand des Bewusstseins, das formlose oder spirituelle Reich und die Transzendenz der materiellen Welt. Er wird mit Shiva assoziiert, der Hindu-Gottheit, die für Transformation und Zerstörung zuständig ist.

Die Stille, welche auf die Aussprache von „Aum“ folgt, steht für Turiya, der Transzendenz der drei anderen Zustände von Wachsein, Traum und Tiefschlaf. Turiya wird oft als ultimative Realität oder reines Bewusstsein beschrieben.

Die Vorteile des OM-Singens

In unserem täglichen Leben haben Worte einen tiefgreifenden Einfluss auf unsere Gefühle und Gedanken. Komplimente heben unsere Stimmung, während wütende Worte unangenehm wirken. Sprache hat also eine Auswirkung auf unsere innere Welt, die sie in unserem Geist erzeugt. 

Dazu kann Klang uns auch durch das Singen von Mantra Freiraum geben, Schutz anbieten und Klarheit fördern. 

Das Singen von Om ist die einfachste Form der Einladung an einen inneren, friedlichen Ort in uns selbst zurückzukehren und die Schwingung (Spanda) unseres Bewusstseins wahrzunehmen.

Es ist eine Erinnerung daran, dass wir Teil einer feinstofflichen Ganzheitlichkeit sind, die immer mit uns schwingt, dass wir mit unserem Kraftzentrum verbunden sind und jederzeit die Vielzahl an Möglichkeiten des Lebens zelebrieren dürfen.

Und so geht die Bedeutung vom Pranav OM weit über das bloße kognitive Verständnis hinaus. Es darf wiederholt werden, um erfahren zu werden.

Immer wieder und wieder. Laut oder leise. 

Die praktische Anwendung des OM

Wenn du OM als meditatives Mantra mit Wiederholung (Japa) zu Beginn deiner Yogapraxis oder beim Chanten von Bhakti Songs hingebungsvoll singst, empfehle ich, die „AUM“-Version zu verwenden und die Schwingung der einzelnen Silben im Körper spüren zu können. Dieses OM kann kurz oder lang gesungen werden.

Der „A“-Laut beginnt im hinteren Teil der Kehle und dehnt sich nach vorne und unten aus. 
Die Vibration wird im Solarplexus und in der Brust spürbar. Der „U“-Laut rollt allmählich am oberen Gaumen entlang nach vorne und bringt die Kehle zum Schwingen. Der „M“-Laut erklingt an den Lippen sowie am oberen Ende des Mundes und hallt die Wirbelsäule hinauf bis in den Schädel.

Die letzte Silbe steht für die tiefe Stille des unendlichen Raumes. Bemerke wenn der Klang des „M“ in diese tiefe Stille überdriftet.

Wenn du vedische Mantren rezitierst, zum Beispiel das Shanti-Mantra und ein OM vorweg singst, dann markiert das erste OM die Dauer (Mātrā) der darauffolgenden kurzen Silben und den neutralen Grundton (udatta) des Mantra. Dieses OM wird kurz gesungen, um die Kodierung festzulegen (neutrale Tonlage und Takt).

Das Endlos-OM

Eine der schönsten Erfahrungen für mich ist das Singen eines „endlos“ Om’s in der Gruppe. Gemeinsam singen wir miteinander im eigenen Tempo und Tonlage mehrere Om’s hintereinander. Jede individuelle Einatmung verkörpert die Fülle, gefolgt vom Ausdruck dessen, was ist, dem Klang des Om.  

Mein Herz wird weit und gibt sich sanft der Stille des Raums hin, während das Om in diese hinein fließt und schlussendlich auch wieder in die Stille zurückkehrt. Die Harmonie und Fülle des gemeinsamen Klangteppichs zentriert mich jedes Mal magisch aufs Neue. Die Verbindung miteinander und das nach Innen- und Aussen Lauschen bekommt eine ganz neue Dimension und Wertschätzung. 


Vielen Dank für den Artikel an Annette!

Annette gibt wunderbare Surtra und Mantra-Chantingkurse online, in denen sie sehr genau erklärt, wie Mantren gechantet werden. Hier lang für die neuen Termine.


Über Annette Hartwig

Annette Hartwig ist seit 1997 Ashtanga-Yoga-Praktizierende und unterrichtet seit über 20 Jahren. Sie ist FRC® Mobilitätsspezialistin, MindBody-Therapy Practitioner sowie Schülerin und Assistentin der bekannten Lehrerin Dena Kingsberg. Viele vertiefende Studien und Trainings bei Richard Freeman, Clive Sheridan, Emil Wendel und mehrere Reisen nach Mysore haben ihre eigene Praxis bereichert. Annette hat 6 Jahre lang eine Yogaschule in Hamburg geleitet und dort erfolgreich das erste Mysore-Programm aufgebaut. Sie ist Co-Direktorin von yogabija und Mitbegründerin des Dawn Collective Yoga Shala in Arrifana, Portugal.



Titelbild @ Yvonne Schmedemann

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