Wir haben mit Christine Dohler, Meditationslehrerin und Autorin des Buches „Rituale: Wie sie unser Leben stärken“, über das Thema Rituale gesprochen. Wir wollten wissen, ob Rituale unsere Persönlichkeit und unser Sein stärken können.
Frau Dohler, welche Bedeutung haben Rituale für ihr Leben?
Rituale geben mir Halt und Sicherheit – und sie lassen mich wachsen. Denn auch wenn ein Ritual gleich abläuft, passiert in dem Rahmen immer etwas anderes. Es ist eher ein bewusster Container, in dem ich mich und alles um mich herum neu erleben und mein Bewusstsein erweitern kann. Rituale unterstützen mich auch dabei, kreativ zu sein und ins Leben zu vertrauen.
Wie haben Sie Rituale für sich entdeckt und was haben sie alles ausprobiert?
Ich reise gern und entdecke Neues – besonders, was mein Bewusstsein sowie meinen Horizont erweitert und mich in Kontakt mit Gleichgesinnten bringt. Ich habe deshalb in Island, Guatemala und Bali insbesondere an vielen Kakaozeremonien teilgenommen. Aber auch an vielen anderen Ritualen wie einer Visionssuche.
Welchen Beitrag leisten Rituale, welche Kraft steckt dahinter?
Rituale machen das Unsichtbare in unserem Leben sichtbar. Sie zeigen uns, dass wir einerseits verwurzelt sind, aber der Raum der Möglichkeit unfassbar groß ist. In unserem Alltag fühlen wir uns manchmal beengt, getrieben und unfrei. Rituale öffnen mir immer wieder neue Perspektiven, tanken mich mit Energie und wahren Gefühlen wie Liebe und Freude auf. Und sie bringen mich mit Gleichgesinnten zusammen, in eine tiefe und authentische Verbindung.
Können Rituale dazu beitragen, die eigene Persönlichkeit zu stärken?
Ja, auf jeden Fall. Wir gehen mit einer klaren Intention in ein Ritual, einer positiven Affirmation, deren Kraft sich dann entfalten kann. Wir lernen zu vertrauen und selbstbewusster zu sein, wenn wir erlebt haben, dass wir mehr als unsere Gedanken sind, dass wir begleitet sind und die Macht haben, unser Leben von innen heraus nachhaltig und für immer zu verändern.
Für die, die sich bisher gar nicht damit beschäftigt haben, wie kann ein sanfter Einstieg gelingen?
Ein sanfter Einstieg kann eine Zeremonie in der Gruppe sein, die man vielleicht auch online von seinem vertrauten Hause aus erlebt (wie das Cacao-Ritual, das ich anbiete). Oder wenn man es lieber für sich ausprobieren will: ein kleines Vollmondritual. Dafür schreibt man sich am Tag des Vollmondes auf, was man loslassen möchte, verbrennt den Zettel und bringt die Asche in den Fluss (buchstäblich).
Welche Kraft hat ein regelmäßiges Morgenritual?
Ein Morgenritual (Meditation, Yoga, Journaling) gibt mir die Möglichkeit, bewusst in den Tag zu starten und authentisch Energie aufzutanken – bevor die Arbeit und weitere Pflichten kommen. So habe ich schon einmal wertvolle Zeit mit mir selbst verbracht. Ich weiß, wo ich stehe und wie ich weitergehen will. Unfassbar wertvoll für die Lebensenergie und das Mindset!
Gibt es Rituale, die uns helfen den Arbeitsalltag zu überstehen oder die sich einfach in die Arbeit integrieren lassen?
Ja, auf jeden Fall. Rituale können uns zum Beispiel helfen, uns zu fokussieren oder zu strukturieren – oder in den Flow zu kommen. Viele Schriftsteller:innen beginnen ihren Morgen immer gleich. Sie starten am gleichen Ort zur gleichen Zeit in den Schreib-Flow. Es kann hilfreich sein, vor jeder neuen Aufgabe, drei tiefe Atemzüge zu nehmen und erst einmal fünf Minuten per Hand aufzuschreiben, was einem gerade noch durch den Kopf geht. Ein kleiner Tipp kann auch sein: Nehmen Sie sich Aufgaben in Intervallen vor und stellen Sie einen Timer auf 25 Minuten. In dieser Zeit gilt es, sich nur auf eine Sache zu fokussieren. Danach machen Sie fünf Minuten Pause.
Wie können wir Kinder für Rituale begeistern?
Kinder müssen nicht für Rituale begeistert werden, sie lieben diese in der Regel eh. Und sie brauchen sie. Kinder haben ja kein Zeitgefühl und orientieren sich am Tag an den wiederkehrenden Momenten: Morgenkreis, Gute-Nacht-Geschichte. Kinder lieben es, wenn etwas immer gleich abläuft, das gibt ihnen auch Vertrauen. Deswegen möchten sie, was ihnen gefällt, wiederholen. Es ist gut, Kindern ab und zu Angebote zu machen, aber sie sollten auch ihre eigenen Rituale etablieren dürfen. Ein schönes Ritual vor dem Schlafengehen ist zum Beispiel, den Mond und die Sterne draußen anzuschauen. Die Kinder dürfen erzählen, was sie sehen (und merken dann auch, dass der Mond sich verändert) und am Ende kann man sagen: Der Mond leuchtet die ganze Nacht für dich und passt auf dich auf. Das schafft auch eine Verbindung zur Natur und Zyklen, zur Natürlichkeit.
Was ist das Besondere an den Cacao-Zeremonien, die Sie anbieten?
Das Besondere ist, eine ganz neue Erfahrung zu machen. Mal aus dem Alltag auszuchecken, jenseits der Grübeleien, Sorgen und raus aus dem Hamsterrad. Es ist eine Möglichkeit, inne zu halten, das eigene Herz zu öffnen und in einen intensiven Kontakt mit sich selbst und anderen zu kommen. Dabei kommen wir auf neue Ideen, fassen Mut, fühlen uns bestärkt und entspannen auch einfach mal wirklich in der Tiefe. Es sind nur zwei Stunden, aber sie können sehr nachhaltig wirken, Emotionen lösen, einen Raum für Neues schaffen. Wir entfalten unsere Kraft und hören mit dem inneren Shutdown auf. Wir nehmen alle unsere Sinne wahr. Es ist magisch!
Welches Ritual, das Sie ausprobiert haben, hat Ihnen so gar nicht gefallen?
Für mich ist es wichtig, dass Rituale zu meinem modernen Leben passen und dass ich sie mir aussuche (also, ich folge meiner Freude, keinem Rat, keiner Religion oder sonstigen Dogmen). Wenn man Zeremonien und Rituale mitmacht, die vielleicht für Tourist_innen angeboten werden, darf man auch aufpassen: wie authentisch ist es, bekomme ich überhaupt mit, was passiert? Und es ist immer sehr wichtig, dass man dem Menschen, der durch das Ritual führt, vertraut, dass derjenige/diejenige Erfahrung auf ihrem Gebiet hat sowie authentisch/demütig und kraftvoll geerdet auftritt – und in der Lage ist, einen Raum zu halten. Und dass ich in dem Raum (wert-)frei und getragen bin. Manche leiten Zeremonien auch aus dem Ego heraus und stellen sich in den Mittelpunkt. Wir brauchen keine Gurus mehr, wir brauchen nur Unterstützung, aus uns selbst heraus zu lernen. Und es ist wichtig, dass man am Ende das Ritual geerdet wieder verlässt. Abspacen ist leichter als landen. Deshalb ist es nötig, sich nach jeder neuen Erfahrung wieder zu erden und sich Zeit zu nehmen, alles ins Leben zu integrieren. Also: nicht gleich von einer in die nächste intensive Erfahrung gehen.
Was würden Sie sagen, was haben Sie all die verschiedenen Rituale über sich selbst gelehrt?
Ich habe gelernt, dass ich eine spirituelle Kraft in mir habe und dass diese genährt sein möchte. Dann steht sie mir in meinem Alltag zur Verfügung und ich kann auch für andere gut da sein bzw. ich kann alle Erfahrungen in meine Arbeit einfließen lassen. Ich habe meine Intuition und Weisheit kennengelernt – und weiß nun, wie ich dieser so oft es geht folge. Ich habe gefühlt, was reine Liebe, reine Freude und wahre Verbundenheit ist. Ich habe Erfahrungen gemacht – das ist das Wichtigste. Wir können viel lesen oder von anderen hören, aber nichts ersetzt die Erfahrung mit dem eigenen Körper, Geist und der Energie.
Über Christine Dohler:
Christine Dohler ist Buchautorin, systemischer Coach und Meditationslehrerin sowie Achtsamkeitstrainerin für Erwachsene und Kinder. Sie hat eine Ausbildung als Yoga-Nidra-Lehrerin und als Leiterin für Schreibgruppen (kreatives Schreiben und Poesietherapie). In ihren Büchern „Am Ende der Sehnsucht wartet die Freiheit“ und „Rituale. Wie sie uns im Leben stärken“ ermutigt sie dazu, ein authentisches und freies Leben zu führen. Seit vielen Jahren bietet sie Coachings und Cacao-Rituale an. Außerdem veranstaltet sie Transformationsreisen und Retreats. Mehr Infos auf www.cacao-ritual.de und www.christinedohler.de
Portrait Christina Dohler @ Sebastian Fuchs
Titelbild @ Kinga Cichewicz via Unsplash
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