Orgasmic Meditation, kurz OM, hat das Liebesleben von Karolina Boldt positiv auf den Kopf gestellt. Die Coachin erklärt uns, wie die Methode funktioniert und warum wir beim Sex weg sollten von Performance hin zu mehr Lust, Befreiung und Kommunikation.
„Komm für mich Baby!“
„Freu mich schon drauf, dich zum Orgasmus zu bringen.“
„Bist du gekommen?“
Alles Sätze, die ich schon von Sex-Partner:innen gehört habe.
Bei mir lösten sie Widerwillen aus, und sofortiges Ausknipsen von eben noch hochgekochtem Begehren.
Den meisten Frauen, mit denen ich darüber spreche, geht es ähnlich, wenn sie einer solchen Haltung beim Partner begegnen.
„Ich will deinen Orgasmus, Baby. Zeig mir, wie groß deine Lust ist. Bestätige mich darin, dass ich’s dir richtig besorge, gib mir deinen Höhepunkt, damit ich mich wie ein ganzer Mann fühlen kann.“
Performen im Bett – und mich dafür vor den Karren spannen?
Äh… NEIN.
Mein Körper gehört mir, sie mag es langsam und ohne Erwartungsdruck. Wenn ich nicht komme, bedeutet das nicht, dass ich den Sex nicht genossen habe, oder noch nicht fertig bin.
Wenn ein Sexpartner nicht kommt, habe ich Frustration erlebt, das Gefühl, zu kurz gekommen zu sein. Als hätte man einem Kind den Lolli weggenommen. Mitunter ein großes Drama als Folge.
Ich soll abliefern, damit mein Partner sich als guter Liebhaber fühlen kann. Aber es soll kein Abliefern sein, und ich soll das von mir aus so toll finden und wollen.
Jetzt wird es langsam kompliziert.
Und weil es in der Wahrnehmung vieler Partner erst dann gut war, wenn er gekommen ist, und wenn ich gekommen bin – idealerweise beide gleichzeitig, muss der Orgasmus her. Mindestens einer!
Erfolg fühlt sich messbar an: Je lauter eine Frau beim Sex stöhnt und je stärker sie zuckt, umso besser ist der Partner darin, es ihr zu besorgen.
Wir sind zurück auf Los – bei Patriarchat und Performance. Und das hat für mich im Sex nichts zu suchen.
Aber wie geht Sex anders?
Ich hatte die Frage damals noch nicht richtig gedacht, als ich auf Orgasmic Meditation stieß. Total zufällig auf Youtube bei Deepak Chopra. Kurz bevor der Hype darum losging.
Als Deliberate Orgasm (DO) gab es die Praktik schon seit den 1980ern in den USA, das zeigte meine Recherche. Inzwischen ist das Netz wie leergefegt darüber.
Als Nicole Daedone, Gründerin von OneTaste und Autorin des Buches “Slow Sex – The Art and Craft of the Female Orgasm”, Deliberate Orgasm entdeckte, „studierte“ sie es, benannte es um in “Orgasmic Meditation” (kurz ‚OM)‘, und kürzte es von 30 auf 15 Minuten. So überarbeitet vermarktete Daedone es als sexy spirituelles Tool.
Inzwischen ist Daedone verurteilt, weil sie einen Kult um Orgasmic Meditation aufgebaut hatte, der Menschen ausbeutete, missbrauchte und manipulierte. Es nahm kein schönes Ende und um Daedone ist es still geworden.
Als ich 2014 Orgasmic Meditation entdeckte, war noch nichts davon hochgekocht. Und meine Neugier war geweckt. Ich fand heraus, dass es Orgasmic Meditation ganz neu in Deutschland gab.
In München und Berlin konnte man Orgasmic Meditation lernen
Also nichts wie ab zu einem “TurnOn-Event” in München. Für Leute, die sich für Orgasmic Meditation interessieren. Zum Schluss der einstündigen Veranstaltung wurde die Runde zum nächsten OM-Workshop eingeladen:
Einen ganzen Nachmittag würde in luxuriöser Location die Theorie von OM erklärt werden – und (damals noch möglich) nach dem offiziellen Ende würde es die Gelegenheit geben, OM selber auszuprobieren.
Ich fragte meinen so-gut-wie Ex-Partner, ob er mitkäme. Und wir gingen zusammen hin. Ein teurer Spaß, aber wir waren neugierig. Wir machten ein paar Icebreaker-Spiele, lernten ausführlich über die Anatomie der weiblichen Lust – und probierten OM am Ende aus.
Wie funktioniert Orgasmic Meditation?
Ihr braucht dazu eine Yogamatte, 2 große Kissen, ein Meditationskissen, ein Handtuch, Gleitgel und einen Timer.
Das Nest: Die Partner:in baut aus Yogamatte, Decke, zwei großen Kissen, einem Meditationskissen und einem kleinen Handtuch ein sogenanntes “Nest”. Sie entkleidet sich von der Hüfte abwärts, legt sich auf die Nest-Matte und klappt ihre aufgestellten Beine nach außen. Die Knie werdenmit zwei großen Kissen gestützt. D
Grounding: Die Partner:in bleibt angezogen und setzt sich seitlich rechts neben ihre Hüfte, das linke Bein über ihrem Bauch.Zum Ankommen und Erden massiert er ihre Oberschenkel mit leichtem Druck.
Noticing: Dann folgt das ’noticing’: Er beschreibt (nicht wertend) das Aussehen ihrer Vulva (zum Beispiel Farbe und Form). Ab jetzt kündigt er jeden seiner Schritte an – nichts geschieht ohne ihr Einverständnis – und stellt einen Timer auf 15 Minuten (“Ich stelle jetzt den Timer.”).
Das OM: Seinen rechten Daumen legt er an den Vaginaleingang, dort, wo er bei penetrativem Sex eindringen würde – zum Erden (“Ich berühre jetzt deine Pussy”). Mit seiner linken, mit Gleitmittel benetzten, Zeigefingerspitze streicht er über den linken oberen Quadranten ihrer Klitoris (1-Uhr-Position). So sachte, als würde er über Ihr Augenlid streichen, das bezeichnen wir als Stroking. Exakt 15 Minuten lang. Immer hoch und wieder herunter. In klitzekleinen Strokes.
Sie kann Anweisungen geben, zum Beispiel „Bitte mehr links!“, „Langsamer!“, oder „Mehr Druck!“
Ihre “Aufgabe“ ist es, sich zu entspannen und fallen zu lassen in das, was sie spürt.
Die letzten 2 Minuten gibt er ihr flächigere und langsamere Strokes, um sie etwas “runterzuholen”. Zum Schluss drückt er beide Hände übereinander (wie bei einer Herzdruckmassage) kräftig gegen ihre Vulva.
Sharing Frames: Anschließend setzen sich beide auf und teilen einen Moment, der ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist.
Aufräumen: Das Nest ist ein geschützter Ort: die Regeln von OM untersagen, nach dem OM dort Sex zu haben – egal wie heiß man hinterher eventuell aufeinander ist. Das Nest wird wieder abgebaut und aufgeräumt. Damit ist ein OM zu Ende.
Der erste Versuch
„Bei unserer ersten Übung war es super komisch. Da waren fremde Leute mit uns im Raum und wir Ladies zogen untenrum blank, bereit für eine sexuelle Erfahrung der anderen Art. Langsam, ohne Erwartung, ohne Penetration. Meditativ.“
Wir waren nervös und fast schon fahrig. Im Raum war es hell, draußen schon dunkel, ein früher Abend im November. Wie soll es sich anfühlen? Wie lasse ich mich fallen? Warum sind seine Hände ausgerechnet jetzt so kalt?
Weil es so komisch war, aber definitiv etwas dran war, probierten wir es zuhause nochmal. Noch immer seltsam, aber aufgeben wollte ich noch nicht.
„Would you like to OM with me?“
Ein paar Wochen später zog ich aus, das war geplant. Erste Single-Aktion: ein Wochenende im OneTaste-Community-House in London. Dort gab es jeden Morgen um sieben Uhr, noch vor dem Frühstück, zwei OM-Durchgänge.
Ansonsten konnte man sich jederzeit zum “OMen” verabreden. Ich hatte in zwei Tagen mit 6 verschiedenen Männern, größtenteils “Profis”, OMs. Und wusste dann, wie es sich anfühlen kann. Verdammt gut!
Wieder zurück in Deutschland übte ich mit dem inzwischen-Ex. London hatte mich mutiger gemacht, ich erklärte, wie ich OM dort erlebt hatte. Wir groovten uns also miteinander beim “OMen” ein – es war richtig gut.
Zeitweise verabredeten wir uns täglich zu Orgasmic Meditation.
Manchmal hatten wir danach Sex. Wir waren entspannter miteinander als in der ganzen neunjährigen Beziehung davor. Wir hatten heißeren Sex.
Ich hatte durch OM-erfahrene Partner gelernt, zu sagen, was ich will, zu dirigieren und neugierig und offen zu sein. Ich hatte gelernt, mich in den Moment und das Gefühl fallen zu lassen – ohne schlechtes Gewissen. Und mich sicher zu fühlen.
Es ging hier tatsächlich 15 Minuten um Fühlen und Loslassen, ohne Erwartungsdruck. Mein Empfinden und meine Lust standen im Mittelpunkt. Ich musste nichts tun, nichts liefern, damit es ihm auch gefällt.
Damals verstand ich zum ersten Mal, dass ich nicht für die Lust eines Partners da bin. Rein intellektuell wissen wir solche Dinge ja, aber es kam damals an, viszeral im Körper.
Und ich spürte das Wesen meiner eigenen Lust viel deutlicher. Der sichere Rahmen und das OM-Protokoll holten meinen Kopf ins Hier und Jetzt. Und machten ihn ganz leise. Und meine Pussy ziemlich laut und lebendig.
Eine Beobachtung, die ich in anderen Kontexten gemacht hatte, fiel mir auch hier überdeutlich auf:
Wenn Frauen nichts müssen, wollen sie viel lieber.
OM wurde mir als “goalless practice” vorgestellt – eine Praktik, die kein bestimmtes Ziel verfolgt. Die zwei Menschen in den Moment holt. In diesem speziellen Fall durch Clit-Stroking – die streichende Bewegung der Fingerspitze auf dem sogenannten “1-o-clock-Spot” auf der Klitoris.
Für OM braucht es Intention, Kommunikation und Konsens. Wir überwinden dabei die Scheu, uns verletzlich zu zeigen. Und es ist als Frau sogar unser Job, ausnahmsweise mal nur an uns selbst zu denken und uns im weiblichen Flow zu erleben – ganz ohne Performance- oder Orgasmusdruck.
Orgasmic Meditation hat was befreiendes
Es ist wie ein Schlüssel. Und nicht jede:r braucht den gleichen Schlüssel. OM funktioniert für mich. Ich habs eine Weile intensiv praktiziert – und es hat alle Ketten und Konventionen von how-to-Sex, how-to-Frau und how-to-Connect gesprengt.
Ich habe angefangen, zu leuchten, zu fordern – und mich wie elektrisiert zu fühlen – mit Effekt in den Alltag und ins Business. Es war wie von einer geheimen Quelle zu trinken. Und wenn man es einmal richtig gelernt hat, ist es auch leicht, andere darin anzuleiten.
Von Männern habe ich oft das Feedback bekommen, ich sei offen, mutig und sinnlich. Von Freund:innen kam oft die Bemerkung ’taking notes here’. Ich finde mittlerweile, die meisten Menschen würden davon profitieren.
OM hat einen weisen und animalischen Teil in mir befreit. Das war der Einstieg in alle weiteren sexuellen Explorationen.
Über Karolina Boldt:
Karolina Boldt ist Coachin und Expertin für weiblichen Ungehorsam. Sie begleitet Klient:innen, die Spannung, Spiel und Schokolade wollen – nicht bloß Langeweile, Pflichtprogramm und Reste. Sie wurde als Kind vom Blitz getroffen und hat einen aggressiven Krebs überlebt. Ihre MIRACLE CIRCLES sind legendär und lebensverändernd. Zusammen mit zwei weiteren Coach:innen hat sie die FXCK YEAH!-Community gegründet. Dort gibt es regelmäßige Online-Events für Frauen, die sich weiblichem Support wünschen. Du findest Karolina auf Instagram (@disobeywithgrace) und hier www.disobeywithgrace.com
Titelbild @ Dushawn Jovic via Unsplash
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