Kundalini Yoga: Nur mit Turban zur Erleuchtung?

Nicole Reese praktiziert seit Jahren Kundalini Yoga. Auch ohne Turban auf dem Kopf oder Mono-Diät, dafür mit Hingabe. Im Text erklärt sie uns warum dranblieben wichtig ist, wie Kundalini die Nerven stärkt und warum es sich immer lohnt, neugierig und offen zu sein, für jeden Stil.

Meine erste Kundalini Yogastunde war bizarr. Ich saß inmitten weiß gekleideter Frauen, manche trugen Turbane auf den schönen Köpfen, und streckte meine Arme in einem 60° Winkel nach oben aus. Die Finger zu Fäusten eingerollt, die Daumen abgespreizt, pumpten wir im Rhythmus der Musik, mit kräftigem, kurzen Atemstößen, unseren Nabel.

Jede den eigenen, natürlich.

Feueratem heißt diese Atemtechnik im Kundalini Yoga, die u.a. das Nervensystem stärkt. Wußte ich damals nicht. Was ich aber nach der ersten Stunde definitiv wusste: dabei bleibe ich. Diese besondere Kombination von Bewegung, Atmung, Mantren und Meditation war dermaßen intensiv, dass ich weiter machen wollte. Und das tat ich auch.

Flexibilität auf mentaler und emotionaler Ebene

Es folgten einige holprige Begegnungen mit diesem Yogastil, und doch: Nichts bringt Kopf und Herz schneller in Balance und stärkt das Nervensystem wie Kundalini Yoga – und flexibel macht es auch. Nicht nur auf körperlicher Ebene, sondern vor allem auf mentaler und emotionaler.

Funktioniert Kundalini Yoga vielleicht deswegen als Antwort auf die Anforderungen unserer Zeit? Können wir mit einem klaren Geist und starken Nerven besser auf die heutigen Herausforderungen reagieren? Liegt darin die neue Popularität von Kundalini Yoga begründet?

Oder ist es die neue Positionierung zu mehr Transparenz und Offenheit, die nach diversen Skandalen, mehr als nötig war und zu einer größeren Präsenz weiblicher Kundalini Lehrer:innen führte, die Kundalini Yoga vor allem für junge Frauen und Mütter interessant macht? Sind es die besonderen Anordnungen der Übungen oder die Community, die durch die gemeinsame Praxis entsteht?

Der Versuch einer Annäherung.

Was ist Kundalini Yoga überhaupt und warum tragen alle weiß?

Kundalini Yoga ist eine dynamische, energetisierende Yogaform, bei der fest strukturierte Übungsreihen, die so genannten Kriyas, unterrichtet werden. Diese setzen sich aus Körperübungen, Atemtechniken und Meditationen zusammen. Meistens sind die Kriyas auf bestimmte Themen ausgerichtet, beispielsweise auf die Stärkung des Immunsystems.

Oder darauf, Stress zu reduzieren, indem vor allem die Nebennieren, die Drüsen, die das Adrenalin herstellen, über die Bewegungen angesprochen werden.

Über die Kriyas sollen die Energiekanäle, die Chakren, gereinigt und auf die Meditation vorbereitet werden, was in der Praxis oft bedeutet, die Wirbelsäule ordentlich zu bewegen.

Das führt nicht nur zu einem flexibleren Körper, sondern soll auch mentale Blockaden lösen. Viele Yogis kennen wahrscheinlich das Beckenkreisen (die Sufi-Kreise) oder auch den Kamelritt (ähnlich wie Katze-Kuh im Sitzen), Übungen, die oft auch zum Aufwärmen in anderen Yogastilen eingesetzt werden.

Häufig wird während der Klassen rhythmische Musik gespielt, um den Geist, und damit auch den Körper, in den Kriyas zu unterstützen. Hinzu kommen zahlreiche Mantren, die, während, vor, oder nach den Körperübungen gechantet werden und vor allem die emotionale Ebene reinigen sollen.

Für das Reinigen der Seele sind die zahlreichen Meditationen zuständig, die jede Session begleiten, und oft in Kombination mit Mantren ausgeführt werden.

Im Kundalini Yoga gibt es übrigens ein 8. Chakra, eines mehr als die üblichen 7 der Chakrenlehre: Das ist die Aura, das magnetische Feld, das dich umgibt. Um diese dich schützende Aura zu stärken wird u.a. bevorzugt weiße Kleidung getragen, die am besten aus natürlichen Materialien besteht. Weiß reflektiert alle anderen Farben und lenkt dich, und die anderen, nicht ab, so dass du dich leichter auf deine Praxis konzentrieren kannst.

Keep up: Die Nerven stärken

Die Übungen selbst sind in der Regel eher einfach auszuführen, was nicht heißt, dass sie nicht anstrengend sein können, es wird nur nicht sonderlich viel gebretzelt. Viele Bewegungen unterscheiden sich von den Asanas, die in vielen Hatha Yoga basierten Stilen anzutreffen sind, aber auch im Kundalini gibt es eine Variante des herabschauenden Hundes oder eine Asanas wie das Dreieck.

Viele Positionen werden minutenlang gehalten, oft in Kombination mit Feueratem. Generell spielt der Atem im Kundalini Yoga eine wichtige Rolle, da er einen direkten Einfluss auf die körperliche, mentale und emotionale Gesundheit hat.

Das lange Halten und Wiederholen war und ist, jedenfalls für mich, oft das  Herausforderndste an den Kundalini Kriyas. Und gleichzeitig auch der Teil, der am meisten nachklingt und einen mit der eigenen Kraft in Verbindung bringt, um so im Alltag bewusster und entspannter zu agieren.

„Dranbleiben ist das Motto. Egal, wie anstrengend es wird, egal, ob du zwischendurch eine Pause machst: nicht aufgeben, sondern versuchen, wieder einzusteigen und weiterzumachen. Keep up!“

Es ist letztlich die Praxis, die zählt. Und die daraus resultierende Erfahrung, dass doch mehr geht, als anfangs gedacht.

Mono-Diäten, Haarpflege-Tipps und kalte Duschen: Kundalini Yoga als Lifestyle Guide

Ein weiterer Punkt, der den Gemeinschaftsaspekt noch etwas mehr in den Fokus rückt, sind die zahlreichen Tipps und Ratschläge für ein gesundes, gutes (Familien-) Leben, die Kundalini Yoga parat hält. Diese reichen von der Ishnaan-Praxis (eine besondere Methode des Kaltduschens) über Rezepte von Kitcheri (ein Gericht aus Mungbohnen) und bestimmten Mono-Diäten (je nach Jahreszeit) bis hin zu Haarpflege-Tipps.

Da über das Haar viel Energie aufgenommen wird, sollte es am besten nicht geschnitten werden (ehrlicherweise ist die ganze Haarsache im Kundalini Yoga wesentlich komplexer, aber das sprengt hier den Rahmen). Das Thema Haare bietet natürlich den perfekten Übergang zum Turban. Dieser soll u.a. den Kopf vor negativen Schwingungen und Stimmungen von außen schützen.

Hinzu kommt, dass durch das Tragen des Turbans bestimmte Druckpunkte am Kopf angesprochen werden, die die Konzentration stärken und die Meditation unterstützen. Auch hier gilt: ausprobieren. Des Weiteren ist der Turban auch als Reminiszenz an die Kultur der Sikhs zu verstehen, die eng mit der Tradition des Kundalini Yoga verbunden ist.

In Freiheit verbunden: Ist aller Yoga eins?

Yoga ist Erfahrung. Und jede:r macht andere. Je nach Lebensphase, Interessen und Alter sind unterschiedliche Aspekt für die eigene Entwicklung entscheidend. Manchmal lohnt es sich, dranzubleiben, auch wenn es anstrengend wird, manchmal nicht.

„Was sich immer lohnt: neugierig und offen zu sein. Das klappt mit Turban, aber auch ohne.“

Yoga ist Verbindung. Als Essenz lässt sich darauf jeder Yogastil runter brechen, egal, ob es sich um Ashtanga Yoga, Hatha, Vinyasa oder eben Kundalini Yoga, handelt. Die Methoden unterscheiden sich natürlich in der Ausführung der Körperübungen, der Pranayamatechniken und in den jeweiligen Meditationen sowie in der Philosophie, die dem jeweiligen Stil zugrunde liegt.

Und haben doch letztlich mehr gemeinsam als sie trennt: Die Suche nach dem inneren Kern, das fokussierte Ausrichten des Denkens, des Handels, des Lebens auf das Wesentliche, statt sich in Erwartungen und abgelaufenen Konditionierungen zu verlieren.

Mal heißt das Ziel Freiheit, mal Glück, mal Erleuchtung. Die einen werfen minutenlang die Arme in die Luft, andere verfeinern die Knie-Schulterachse im gebeugten Winkel. Was zählt, ist das Dranbleiben und Weitermachen. Sich nicht ablenken zu lassen und die Nerven zu behalten. Freundlich zu anderen und sich selbst gegenüber zu sein.

Sat Nam!

Hier kannst du Kundalini Yoga praktizieren:

3hO Deutschland e.V. – happy, healthy holy – Kundalini Dachverband Deutschland, hier sind viele Ausbildungen, Lehrer, Workshops…  registriert

Panch Nishan Kaur – bietet Kundalini Teacher Trainings und regelmäßige Klassen und Workshops an. Hier gehts zum Artikel.

Gurmukh – die Queen des Kundalini Yoga: Wer irgendwie mit ihr einen Workshop machen kann, sollte unbedingt hingehen.

Madhavi – zahlreiche Onlinekurse. Regelmäßige Klassen, Workshops und Ausbildungen.

INDIGO – Yoga mit Nike – monatliche Kundalini-Events in Hamburg mit Nike und Ranja.

Katherine McCusker, eine Britin, die vor Ort in London, aber auch online Kundalini Kurse und Klassen anbietet.

Kartha Purk unterrichtet wunderbare Klassen in Hamburg in der KAIFU Lodge

Prana Station – hier gibt’s verschiedene Kundalini Kurse

Titelbild @ Franziska Brodhun