Redakteurin Simone meditiert emsig für mehr Ordnung im Kopf – dabei bleibt das Chaos in der Wohnung auf der Strecke. Wie stellen wir Ordnung her, die im innen und außen langfristig bleibt? Dafür gehen wir auf Spurensuche und haben mit der Ordnungsberaterin Daniela Slezak, dem Achtsamkeitslehrer Georg Lolos, der Organizing-Queen Kati Möller und der Emotionsforscherin Dina Wittfoth gesprochen.
Während ich diesen Artikel schreibe, frage ich mich, wie es wohl euch zuhause aussieht? Habt ihr Staubflusen in den Ecken? Räumt ihr immer alles an denselben Platz und mistet regelmäßig aus? Wünschst ihr euch manchmal weniger Dinge zu besitzen?
Egal mit wem ich in den letzten vier Wochen über das Thema gesprochen habe, kaum einer hat geantwortet: Ja, ich habe alles im Griff. Jeder wünscht sich mehr Ordnung, mehr Klarheit und weniger Chaos. Egal ob im Kopf oder in der Wohnung. Selbst die, die ziemlich weit sind in Sachen Vorzeige-Hausfrau haben wenigstens Chaos in der privaten Fotoablage. Ich komme aus einer ordentlichen Familie, aber leider ist diesbezüglich nicht allzu viel an mir kleben geblieben.
Ran an den Entscheidungsmuskel
Mittlerweile gibt es zahlreiche Programme, die uns in Sachen Ordnung auf die Sprünge helfen. Die KonMari-Methode ist eine davon. Hier wird nach Kategorien aussortiert, der Ordnungsmuskel trainiert und am Ende sogar sentimentalen Erinnerungsstücken Goodbye gesagt. Daniela Slezak war 20 Jahre als Stewardess beschäftigt, bevor sie sich entschloss bei besagter Marie Kondo, der japanischen Aufräum-Koryphäe in London, eine Ausbildung zu machen. Sie betreute über Monate hinweg Kunden, lieferte Berichte ab, bestand die Ausbildung als „Ordnungsberaterin“ und betreut nun seit ca. zwei Jahren Menschen in Sachen Ordnung. „Beim Ordnen geht es immer auch um innerer Prozesse, meist ist es schlichtweg ein Verschieben von Entscheidungen.“, sagt die freundliche Berlinerin.
Der Prozess der KonMari-Methode beginnt mit Fragen, um eine Grundlage zu schaffen: „Wer will ich sein?” und “Wo will ich hin?” Danach geht es an die einzelne Kategorien und die teilt Marie Kondo in Kleidung, Bücher, Papiere & Dokumente, Komono (der geliebte Kleinkram) und Erinnerungsstücke ein. Man arbeitet sich sozusagen von Kategorie eins bis fünf durch. Man startet mit der leichtesten und ackert sich langsam zur schwersten Kategorie. Daniela ist live dabei, wenn es darum geht, den Kleiderschrank zu sortieren oder Ordnung im Bücherregal zu machen. Dabei werden alle Teile einer Kategorie auf einen Haufen geworfen. Die Größe des Haufens sorgt bereits für erste Einsichten. Da stellt so manche Kundin verwirrt fest: Ich habe 50 Gartenbücher, bin aber gar keine Gärtnerin. Beim Ausmisten der einzelnen Kategorien, für die meistens ca. drei Stunden drauf gehen, wird fortwährend der Entscheidungsmuskel trainiert. Der Chaot muss sich Fragen stellen wie: „Was ist es? Was bedeutet es mir? Warum kann ich mich nicht trennen?” Daniela hilft dann, indem sie ein bis zwei Fragen zu dem Gegenstand stellt. Ist der Entscheidungsmuskel einmal gut trainiert, kann man sich am Ende auch an die sentimentalen Gegenstände wie Fotos und Tagebücher machen. Zwischen den einzelnen Kategorien bekommen die Klienten Hausaufgaben von Daniela. Ausmisten will geübt werden.
Daniela erzählt mir via Zoom: „Ich hatte zuhause mit Mann und Kindern nie die Ordnung, die ich mir gewünscht habe.Ich war in der Welt unterwegs und habe in Duty Free-Shops eingekauft – irgendwann wurde mir klar, dass ich zu viel von allem habe. Ich wachte eines Morgens auf und wusste, ich möchte anderen dabei helfen, den eigenen Konsum zu hinterfragen und klarer zu werden.“ Was sich bei ihr durch die Methode verändert hat? Sie ist bewusster und achtsamer geworden.
„Es war als ob sich ein Achtsamkeitsfenster geöffnet hätte. Ich frage mich heute, wenn ich einkaufe, ob etwas in meine Vision passt oder ob ich überhaupt Platz dafür habe.“
Daniela Slezak
Wir schaffen immer mehr an und kaufen Dinge, die wir eigentlich gar nicht brauchen. Laut Daniela auch weil wir so sozialisiert sind. Wir erkaufen uns Träume und Vorstellungen, die nichts mit der Realität zu tun haben. Das Chaos entsteht dann oftmals auch, weil die erhoffte Erfüllung nicht eingetreten ist.
Auch Mönche haben Chaos
In der KonMari-Methode wird übrigens jedem Teil am Ende ein „Danke“ zugeflötet. Ja, richtig gehört – man bedankt sich bei Socken, Kochbüchern und Waschlappen für die Begleitung. Was lustig klingt, hat am Ende sehr viel mit Achtsamkeit zu tun. Dabei geht es um Wertschätzung und den guten Umgang. Ich denke in den Tagen nach dem Telefonat mit Daniela darüber nach, wie viel die Ordnung im inneren Oberstübchen mit den eigenen vier Wänden zu tun hat. Der Bewusstseins- und Achtsamkeitslehrer Georg Lolos, den ich für den Podcast interviewt habe, hat drei Jahre in Plum Village, einem französischen Kloster, gelebt. Er holt mich auf den Boden der Tatsachen: „Im Kloster, in dem ich gelebt habe, gab es Mönche, die waren innerlich sehr aufgeräumt und ihre Zimmer sahen trotzdem nicht ordentlich aus.“ Wir lachen und ich schöpfe Hoffnung. Georg sagt, dass er früher nicht ordentlich war, heute aber sehr strukturiert lebt. Noch mehr Hoffnung.
Wie schafft er das, frage ich. „Schritt für Schritt. So wie ich es auch im Inneren mache. Im Prinzip unterscheide ich da gar nicht. Ich schaue, was ist gerade quer oder wo ist ein Leidensprozess? Genauso im Außen, wenn ich sehe, etwas steht rum oder muss weg gesaugt werden, mache ich es direkt.“ Sich beständig und in kleinen Schritten um alles kümmern. Georg ergänzt, dass äußerliche Ordnung unterstützend wirken kann, um innerlich klar zu bleiben. Mein Blick schweift über meinen chaotischen Schreibtisch.
Aufräumen lohnt sich
Was Menschen feststellen, die es getan haben: Aufräumen und Aussortieren lohnt sich. Eine ordentliche Wohnung verbessert das zwischenmenschliche Zusammenleben, spart Zeit und Geld. Es gibt nachweislich weniger Diskussion, wenn jeder findet, was er sucht und schneller aus dem Haus kommt man auch, wenn man nicht erst Stunden den Schlüssel sucht. Dieses Phänomen kennt auch Kati Möller. Die Mutter und Hundebesitzerin betreibt zusammen mit ihrer Partnerin Prinzessin Elna-Margret zu Steinfurt und Bentheim die Plattform Kaiserplatz, einen Onlineshop und Homeorganizing-Service aus Düsseldorf. Die Inspiration dazu kam ganz praktisch aus dem eigenen Familienleben und der wachsenden Herausforderung, den Alltag und die Haushaltsorganisation für alle leicht zu gestalten. Das international erfolgreiche Pendant dazu ist „The Home Edit – Jetzt wird aufgeräumt“ auf Netflix. Hier helfen die Expertinnen Clea und Joanna Promis und Normalsterblichen beim Entrümpeln, Aufräumen und Organisieren, um deren Wohnumfeld zu neuem Glanz zu verhelfen.
Zurück ins beschauliche Düsseldorf: „Homeorganizing ist komplexer als man es sich im ersten Moment vorstellt. Es geht nicht darum, Lebensmittel in ein paar hübsche Container umzufüllen und ein Label drauf zu kleben. Unser Ziel ist es, den Alltag der Menschen nachhaltig zu erleichtern, tägliche Abläufe zu optimieren und auf diese Weise ein neues Wohlgefühl und mehr Leichtigkeit entstehen zu lassen.“ Einfach blind drauf loslegen, mal hier und da ein bisschen räumen, hilft auch laut Kati Möller wenig: „Man muss erstmal analysieren, was die individuellen Gewohnheiten sind, wo es hakt und was das Ziel ist. Dann geht es an die Auswahl der passenden Organizing-Produkte. Es gibt so viele unterschiedlichen Schubladen-, Kühlschrank-,- und Regalformate, hier ist es wichtig, zu planen, damit der Raum optimal genutzt wird.“
Wir wollen leicht und frei sein
Mir wird klar: Egal ob beim Yoga oder auf der Couch des Therapeuten – es geht uns immer darum mehr Leichtigkeit und Freiheit zu finden. Eine Option wäre, weniger zu konsumieren, die andere lautet Ordnung. Kati zum Beispiel weiß: „Ich bin nur deswegen so ordentlich, weil ich es ermüdend und lästig finde, dauernd aufzuräumen. Hat erstmal alles seinen festen Platz und ein klares System, bleibt die Ordnung wie von selbst, das ist befreiend.“ Zieht man das durch, gewinnt man dadurch als Familie vor allem Zeit. „Bei uns sind unnötige Stressquellen aus dem Alltag verschwunden und wir haben mehr Zeit für das Miteinandersein.“
Der ein oder andere mag jetzt denken, ach wäre es doch bei mir auch so wie bei Daniela oder Kati. Statt viel darüber nachzudenken oder zu lesen, lohnt es sich anzufangen. Die Expertin rät dazu ein kleines, überschaubares Projekt zu definieren. Das kann ein Badezimmerschrank, eine Krimskrams-Schublade, oder die Gewürzablage sein. Mit der Tätigkeit, kommt die Freude am Organizing von selbst und man fühlt sich bereit, größere Projekte anzugehen.
Stört dich das Chaos überhaupt?
Mein letztes Telefonat führe ich mit Dina Wittfoth. Sie ist zweifache Mutter, Psychologin, Emotionsforscherin und Coach. Sie trifft den Nagel auf den Kopf: “Egal ob äußere oder innere Ordnung, die Frage ist doch, ob dich etwas behindert.” Ich halte kurz inne. “Wenn du in dir ruhst und alles um dich herum explodiert, was mit Kindern öfter Mal der Fall ist, dann ist es ok, solange es dich nicht stört. In diesem Fall ist das Chaos vielleicht mehr ein Zeichen von Fülle und Lebendigkeit.” Sie rät dazu, dass wir uns fragen: Wie fühle ich mich damit? Was brauche ich gerade? Wichtige Fragen, die wir gerade im Alltag auch gerne mal vergessen.
Was die innere Ordnung angeht, unterteilt die Forscherin zwischen Mindset und Emotionen. Mit Mindset sind vor allem unsere Gedanken gemeint und da wir davon viele haben, empfiehlt sie diese in eine positive Richtung zu lenken. Frag dich, was will ich denken und los geht’s. Bei den Emotionen sieht es anders aus, denn die sind laut Dina nicht zum Aufräumen gemacht. Hier geht es eher darum die ganze Bandbreite an Emotionen einmal durchlaufen zu lassen und den Emotionen eben nicht aus dem Weg zu gehen. Wichtig ist dabei, dass wir uns nicht fühlen, als würden wir unter einer großen Welle begraben. Hier sind alle Formen von Bewegung hilfreich, weil sie uns helfen Gefühle besser zu verarbeiten. Am Ende unseres Gesprächs rät sie mir: „Manchmal hilft es schon, dass wir etwas tun, was einen Effekt hat. “
Mein Fazit: Ein aufgeräumtes Oberstübchen sorgt nicht automatisch für Ordnung in den eigenen vier Wänden. Schade. Aber das Abwerfen von Ballast im Außen sorgt für etwas mehr Ordnung im Inneren. Wie gut. Und wer sich mit ein bisschen Chaos lebendig fühlt, der darf es auch dabei belassen. Yay. Wer aber das Gefühl hat im Chaos zu versinken, der sollte es anpacken. Just do it.
Titelbild @ Jayce Eduarte via Unsplash
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