Eric Hegmann, wie können wir Nähe lernen?*

Die Nähe zu anderen Menschen ist schön, fühlt sich gut an und macht uns im besten Fall glücklich. Aber viele von uns tun sich schwer, andere Menschen näher an sich ranzulassen. Paarberater, Single- und Beziehungs-Coache Eric Hegmann aus Hamburg erklärt das Phänomen Nähe aus seiner Sicht und erklärt, wie es klappt mit mehr Kontakt.

Eric, woran denkst du zuerst, wenn du das Wort Nähe hörst?

An Bindung. Ein wundervolles Gefühl, sich verbunden zu fühlen, sogar über eine Distanz und ein unerträglicher Schmerz, wenn die Bindung unsicher wird und verloren geht und Trennung und Verlust erlebt werden.

Titelbild @ Emma Valerio via Unsplash, Portrait Eric @ Inga Sommer

Wie wichtig ist die Nähe zu anderen Menschen und zu uns selbst für ein glückliches Leben?

Menschen können ohne Bindung nicht überleben. Das erfahren wir bereits als Babys und das prägt uns in den ersten Jahren ebenso wie später in unserer Beziehungsbiografie. Studien aus den letzten Jahrzehnten legen nahe, dass nicht alleine die Erfahrungen in der frühen Kindheit unseren Bindungsstil beeinflussen, sondern auch unsere Partner und Beziehungen. Nach schmerzhaften Trennungs- und Verlusterfahrungen greifen wir auf Schutzstrategien zurück, um diese nicht erneut erleben zu müssen. Dabei ist unser Selbstwert der Dreh- und Angelpunkt des Bindungssystems und eben des Wunsches nach Nähe und Distanz. Je verletzter der Selbstwert, auch durch viele Zurückweisungen bei der Partnersuche beispielsweise, umso ausgeprägter meist die Schutzstrategien. Die zeigen sich beispielsweise in der Haltung: „Ich muss mir Liebe verdienen, weil ich nicht gut genug bin.“ Oder auch durch großes Misstrauen: „Ich kann niemandem vertrauen, deshalb lasse ich niemanden so nah an mich heran, dass ich verletzt werden kann.“

Was tust du, um Nähe zu anderen Menschen herzustellen?

Nähe und Bindung erleben Menschen dann, wenn sie sich gesehen, gehört und gewertschätzt fühlen. In Partnerschaften, wenn sie sich geliebt fühlen. Berührungen schaffen das Gefühl von Vertrauen und Geborgenheit. Bevor Menschen sprechen konnten, haben sie einander angefasst, um zu zeigen: Du bis okay, ich mag dich, ich mag von dir bemüht zu werden. Aber auch kleine Verbindungen im Alltag sind unerlässlich zwischen Partnern: „Sieh dir doch mal das Tiktik-Video an, das ich gerade gefunden habe“, ist ebenso eine Bitte um Verbindung wir „Hast du das Eichhörnchen im Garten gesehen?“. Es dauert nur wenige Sekunden, zugewandt auf einen solchen Verbindungsversuch zu reagieren, obwohl das vielleicht gerade aus den Gedanken reißt. Aber einer Zurückweisung wieder gut zu machen, dauert erheblich länger. Und wer darauf achtet und in sich hinein horcht, wird bestätigen: das befriedigende Gefühl, wenn eine solche Verbindung zustande gekommen ist, lässt einen entspannt und sicher geborgen zurück.

Unterscheidest du zwischen seelischer und emotionaler Nähe?

Ich unterscheide zwischen körperlicher und emotionaler Nähe. Partner können sehr weit emotional voneinander entfernt sein, selbst wenn sie zusammen auf dem Sofa sitzen. Andererseits lässt sich eine emotionale Nähe auch über große Distanz herstellen und bewahren.

Wie sieht emotionale Nähe aus, wenn es gut läuft? (An welchen Punkten erkennt man, dass es eine emotionale Nähe zwischen sich selbst und der Partnerin gibt?)

Wenn sich die Partner geschätzt und geliebt fühlen, wenn sie ihre Verbindung als sicher erleben, dann ist da eine emotionale Nähe, die glücklich und optimistisch macht und gleichzeitig Sicherheit und Geborgenheit vermittelt. 

Was sind Gründe, warum wir Nähe in manchen Fällen schwer zulassen können? 

Ebenso wie ein zu großer Wunsch nach Nähe, der klammert, ist die Furcht vor zu viel Nähe, um nicht aufgesogen zu werden in einem Wir, meist eine Folge von schmerzhaften Trennungs- und Verlusterfahrungen, die vermieden werden sollen in der Zukunft. Und die gründlichste Vermeidungsstrategie ist, keine Nähe zuzulassen. Oder sich beispielsweise abzuarbeiten an unerreichbaren Partnern, mit denen echte Bindung niemals möglich sein wird.

Laut Sigmund Freud trägt emotionale Nähe, neben Vertrauen, gemeinsamen Werten, geteilten Ängsten und Wünschen, zu über 80 Prozent zum Gelingen partnerschaftlicher Kommunikation bei. Wie siehst du das?

Sigmund Freud halte ich persönlich nicht für den besten Beziehungsratgeber, waren doch die Vorstellungen und Anforderungen an eine Partnerschaft zu seiner Zeit eine völlig andere als heute. So falsch lag er jedoch mit dieser Einschätzung nicht. Professor John Gottman hat beispielsweise in Studien herausgefunden, dass Paare, die zu über 86 % auf die Verbindungsversuche ihrer Partner eingehen, zusammenbleiben. Paare, bei denen diese Quote unter 36 Prozent liegt, trennen sich.

Wie finden wir eine gesunde Balance zwischen Nähe und Distanz?

Jede Beziehung ist der täglich gelebte Widerspruch zwischen dem Bedürfnis nach Nähe und Geborgenheit, nach Verschmelzung und Sicherheit auf der einen und dem Wunsch nach Selbstbestimmung, nach Autonomie, Abenteuer und Exploration auf der anderen. Beide sind gleichberechtigt. Aber zwei Menschen können nun einfach nicht dieselben Bedürfnisse immer zur gleichen Zeit haben. Das müssen Partner aushalten lernen.

Wer bei sich selbst merkt, mir fällt es richtig schwer, Nähe zuzulassen – was sind Wege, die helfen, sich mit dem Thema zu beschäftigen?

Hier lohnt sicher ein Blick auf die Schutzstrategien, die sich früher als wirksam erwiesen haben, heute jedoch vielleicht echte Bindung eher verhindern. Heute haben viele Therapeut:innen wieder die Bindungstheorie im Blick, beispielsweise in der Emotionsfokussierten Paartherapie nach Dr. Sue Johnson oder auch der Paartherapie nach John und Julie Gottman. Das sind Erkenntnisse, die auch in der Einzelarbeit sehr hilfreich sein können.

Über Eric Hegmann:

Eric Hegmann ist einer der bekanntesten Paarberater, Single- und Beziehungs-Coaches im deutschsprachigen Raum. Als Mitglied des Parship-Expertenteams und Autor zahlreicher Publikationen möchte er Menschen als Gegenmittel zur wachsenden Bindungs- und Verlustangst wieder mehr Mut und Vertrauen ans Herz legen. Seit 2016 bietet er Online-Kurse für die Kommunikation in Partnerschaften sowie rund um Bindungsverhalten und Beziehungskonflikte an.

Titelbild @ Emma Valerio via Unsplash, Portrait Eric @ Inga Sommer

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