die Kolumne von Simone Lopez Sanchez zum Thema Nähe

KOLUMNE #embracethechaos: Das verstaubte Stübchen*

Nähe, das ist so ein schönes Thema, dachte ich, als wir es als Dezember-Thema ausgewählt haben. Als es dann so weit war, habe ich ganz schön geschluckt, denn ich bin gerade keine Expertin in Sachen Nähe. Normalerweise erlebe ich immer etwas, was prima zur Kolumne passt und was ich erzählen mag. Dieses Mal war es anders. Dieses Mal war da wenig, ähm, Nähe?

Wie nah bin ich mir denn eigentlich selbst? Und was bedeutet das überhaupt, sich selbst nah zu sein? Manchmal gönne ich mir montags eine Yoga Nidra Klasse, das entspannt mich herrlich und sorgt dafür, dass ich wie bei einem Kompass eine Richtung für mein Inneres bekomme. Hat aber nicht funktioniert die letzten Wochen. Ich war unruhig. Immer kam mir eine andere Idee, immer klopfte jemand von außen an die Tür oder an meine Innere.

Und dann, als ich neulich nach einer Stunde in der Yogakitchen in Oberkassel in Savasana lag, spürte ich endlich mal wieder eine Nähe zu mir selbst. Ich konnte exakt fühlen und beschreiben, wie es mir in diesem Moment ging. Ich atmete fast etwas auf und stellte fest: Ich bin die letzten Monate weggelaufen. Vor mir selbst. Drauf gebracht hat mich ein schlauer Mann, mit dem ich derzeit vereinzelt Stunden verbringe.

Ich bin mir selbst entwischt

Der Tod meines Vaters hat dafür gesorgt, dass ich wie Forrest Gump die Füße in die Hand genommen habe und obwohl ich nicht schnell bin, hat es funktioniert. Ich bin mir immer wieder selbst entwischt. Wie so ein glitschiger Fisch, den man in den Händen hält. Weil ich Angst hatte, vor dem was sich da zeigt und weil ich mal nicht, wie sonst immer, tief in der Gefühlskiste graben wollte. Ich wollte weg glitschen, weitermachen mit dem Leben und hakte einen Monat nach dem anderen ab. Als ich in einem Yoga-Workshop, den ich selbst gab, den Teilnehmerinnen davon erzählte, merkte ich wie sich etwas löste und schaute in verständnisvolle Gesichter. Was da entstand? Nähe.

Nähe in einer Partnerschaft, kann ja schon schwierig sein. Ich brauche Luft zum Atmen, dachte ich früher immer. Die Zeiten allein. Allein reisen, in einem Cafe sitzen, allein auf der Yogamatte. Und überhaupt, ich bin gerne allein. Eine Partnerschaft ist ja ein Klacks im Vergleich zudem, was ein Neugeborenes einem in Sachen Nähe abverlangt. Dieser enge Kontakt, der einen selbst so beglückt, aber irgendwann auch die Frage aufwirft, wer bin ich, seit ich Mama bin? Wann immer ich merke, dass mir Nähe mit anderen Menschen schwerfällt, gehe ich mehr in den Kontakt zu mir selbst. Das funktioniert mit Yoga, Meditation und noch viel besser übers Schreiben. Und eigentlich immer wird dann klar, dass es keinen guten Kontakt gibt zur eigenen inneren Schaltzentrale. Säße da eine Vorzimmerdame, wie in einem Bürogebäude würde sie sagen: „Ach, Frau Lopez Sanchez, sie sind’s, sie waren ja lange nicht mehr da. Bei ihnen ist es ganzen schön verstaubt im Stübchen. Die Nachbarn wundern sich schon.“

Türe zu, Arbeit auf, Nähe weg

Ja, verstaubt ist es in meinem Stübchen und wer möchte schon tief atmen in einer verstaubten Stube? Da lässt man lieber die Türe zu und öffnet das Tor der Arbeit. Todos abhaken, Geld verdienen, Feedback einsammeln, vielleicht sogar Lob kassieren – Arbeit ist einfach eine sehr dankbare Ablenkung von sich selbst. Der schlaue Mann von oben erklärte mir, dass ich sehr loyal meinem Vater gegenüber sei. In meinem verstaubten Arbeitsstübchen fiel es mir wie Schuppen von den Fischaugen: Ich tat die ganze Zeit genau das, was mein Vater getan hatte. Vielleicht tat ich es nicht, weil ich das schon immer so gemacht hatte, sondern weil ich ihm so nah sein konnte? Hauptsache Nähe, wer lässt schon gern den eigenen Vater gehen?

Als ich am Wochenende zuhause war, dachte ich die Tür geht auf und mein Vater kommt herein. Da war auf einmal so viel alte Nähe, dass ich das Gefühl hatte, meine Brust explodiert. Gleichzeitig geriet ich in einen Wortwechsel, der mich wie in einer Galaxie weit weg katapultierte – dieses ewige Nähe- und Distanz-Ding in Familien und Partnerschaften, dachte ich. Nur eine Stunde später saß ich bei meiner sehr alten Oma und ich finde alte Menschen haben ein besonderes Bedürfnis nach Nähe, dass ich immer befriedigen möchte. Eine Umarmung, ein Anfassen, ein Kuss. Ich wünsche mir das auch, wenn ich alt bin – ganz viel Wärme und Nähe von Menschen, die sie geben können. Aber ich konnte nicht, wegen einer Erkältung blieb ich auf Abstand.

Und dann war da ganz viel Nähe

Am Ende merkte ich, so ein Quatsch und schmiss mir meine alte und tattrige Oma an die Brust und flüsterte ihr ganz nah ins Ohr: „Oma, pass gut auf dich auf.“ So ein Flüstern ins Ohr ist eine besondere Form der Nähe. Die Crème de la Crème – körperlich und die Worte sacken so schön in einen hinein. Da passiert was bei beiden. Als ich Stunden später vor dem Grab meines Vaters stand, passierte auch was. Ich hatte das Gefühl, ihm auch etwas zuflüstern zu wollen. Stattdessen machte ich sein „Stübchen“ sauber, pflückte hier und da was ab und stellte frische Blumen hin. Ich schaute nach rechts und links und nickte zu den Nachbarn rüber. Hier gibt es nichts zu wundern, dachte ich, hier wird entstaubt.

Dann nahm ich meinen Sohn bei der Hand und flüsterte ihm ins Ohr, was ich eigentlich meinem Vater sagen wollte. Er strahlte mich an. Und dann war da auf einmal sehr viel Nähe.


Titelbild @ Anna Lena Duschl

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