zwei Menschen küssen sich. zwischen ihnen eine Glasscheibe

Getestet: Slow-Sex-Workshop von zuhause aus

Schon mal von Slow Sex gehört? Achtsamkeit im Bett, ist das nett oder öde? Unsere Redakteurin hat zusammen mit ihrem Partner einen Slow-Sex-Workshop getestet. Fazit: Sex kann auch mal ganz anders sein als gewohnt.

Noch immer ist Sexualität eines der größten Tabuthemen in unserer Gesellschaft und oft läuft es anders, als wir es uns wünschen. Dabei geht es weniger darum, ob der Sex gut ist oder nicht. In den wenigsten Fällen wird uns beigebracht, wie wir uns mit Wünschen innerhalb unserer Sexualität offen auseinandersetzen können, noch weniger diese zu kommunizieren.

Ohne es überspitzen zu wollen: Wenn wir an Sex denken, dann denken wir oft an einen physischen Akt. Zwei Menschen, die im wahrsten Sinne des Wortes wild übereinander herfallen. Die Bewegung unkontrolliert, die Berührung mechanisch und die Position horizontal. Doch ist das wirklich alles? 

Warum fällt es uns so schwer, bei einer intimen und vertrauten Angelegenheit die Sprache zu finden, selbst wenn uns unser langjähriger Partner gegenüber steht?

Ich wollte es wissen!

Ein wichtiges Thema fällt unter den Tisch

Was ist mit Beziehungen, bei denen das Anfangs-Kitzeln verschwunden ist, der Sex nicht nur weniger, sondern tendenziell auch ruhiger wird? Findet Kommunikation stattdessen hier mehr Raum? Wohl kaum. Was hemmt uns? 

Die eigene Unsicherheit, Scham, Angst? Sind es die imaginären Bilder aus Pornographie, Filmen oder Büchern, die uns vermeintlich vormachen, wie besonders guter Sex auszusehen hat?

Ich bin in einer konservativen Familie groß geworden. Das Thema Sex existierte nicht. Keine Aufklärung, keine Information, kein Erfahrungsaustausch. Dabei wimmelt es in der Welt von pornografischem Überfluss, das kann bereits in frühester Jugend Fragen aufwerfen. 

Was dachten sich unsere Eltern dabei, ein solch wichtiges Thema komplett unter den Tisch zu kehren? Doch auch in meinem Umfeld, in viel liberaleren Familien, hatte ich nur selten den Eindruck, dass Sex ein offen diskutiertes Thema ist.

Ich denke, dass es unsere Eltern nicht besser wussten und vermutlich selbst Opfer gesellschaftliche Tabuisierung waren. Doch die Gesellschaft verändert sich und öffnet sich allmählich dafür, das Thema Sex aus einer neuen Perspektive zu betrachten.

Ist Slow-Sex das bessere Tantra?

Als Yogalehrerin sind mir Impulse aus dem Tantra-Yoga immer wieder begegnet, ein näherer Blick hinter die Kulissen erschien mir jedoch suspekt. Immer wieder hörte und las ich von Skandalen aus der Tantra-Szene, die bis hin zu Missbrauchsvorfällen und sektenähnlichen Systemen reichten. Netflix-Dokus wie “Wild Wild Country” oder “(un)gesund” schrecken eher ab, sich in einem spirituellen Umfeld auf das Thema Sex einzulassen. 

Auch wenn Slow Sex ähnliche Ansätze wie das Tantra zeigt, empfand ich auf Anhieb mehr Zugang und Interesse am langsamen lieben. Mir persönlich war es bei der Auswahl des Workshops wichtig, einen “Lehrer” zu haben, der in der gleichen Kultur wie ich aufgewachsen ist und unser Wertesystem selbst erlebt und kennt.

Zack, Slow-Sex-Workshop gebucht

Dann war es soweit. Im November 2020 hatte ich einen privaten Slow-Sex-Workshop gebucht, für meinen Mann und mich. Besser gesagt: Für mich, mit meinem Mann. Es war pure Neugierde, die mich dazu gebracht hat, diesen Online-Tagesworkshop bei Achtsam Lieben zu buchen. 

Christoph und Angela, die Gründer von Achtsam lieben, unterstützen Menschen darin, Berührung neu zu entdecken und geben neue Impulse für die eigene Sexualität. Der Workshop fand mit beiden Gründern statt, was eine schöne und interessante Dynamik mit sich brachte: Angela bringt viel Erfahrung aus Achtsamkeit und Selbsterfahrung mit, Christoph ist Tantramasseur.    

Da diese Erfahrung für mich selbst komplett neu war, fand ich es nur fair und umso aufregender, meinen langjährigen Partner auf diese Reise mitzunehmen.

Ich verpackte es als Geburtstagsgeschenk. Die Reaktion? Mehr Irritation als (Vor-)Freude.

Worum geht es uns beim Sex wirklich? 

Seien wir doch mal ehrlich: Bei all der Vorstellung, die wir von Sex haben, zielen wir vor allem auf eines ab: unserem Gegenüber zu gefallen. Diese Unsicherheit begleitet uns über den gesamten Akt hinweg, hoffend, mit einem Orgasmus belohnt zu werden. 

Die entscheidende Frage rutscht oft vom Tisch: Wie habe ich mich gefühlt? 

Viele Menschen sind so sehr auf den Partner fixiert, dass sie sich selbst dabei oft ganz vergessen. Dabei ist es das Wahrnehmen und Empfinden der eigenen inneren Gefühle, welches am Ende bestimmt, ob der Sex wirklich gut war oder nicht.

Was passiert bei einem Slow-Sex-Workshop?

Auf den ersten Blick ist Achtsamkeit wohlmöglich das letzte, was wir mit Sex in Verbindung bringen. Dabei kann genau diese Verknüpfung der Schlüssel tiefer Verbundenheit und liebevoller Intimität sein. Dieser Workshop ist eine Einladung, Berührung zu erleben, die nichts erreichen will.

Um eines vorab klarzustellen: Man bleibt zu jeder Zeit angezogen. Es war auch möglich, während der Paar-Übungen die Kamera auszuschalten. Und ja, es gibt diese Workshops auch in Präsenz.

Für uns war online das ideale Setting: zu Hause, an einem  Ort der Sicherheit. Die Atmosphäre war sehr entspannt, wir haben es uns ganz nach unserem Geschmack gemütlich gemacht.

Gefällt es dir, wie ich dich berühre? 

Viele der Übungen wurden gemeinsam mit dem Partner durchgeführt – je nach Übung gleichzeitig oder abwechselnd nacheinander. Die heute noch prägendste Übung für mich war folgende: Es ging darum, den Partner sanft an den Händen zu berühren, es ging also weder um Sex oder eine intime Begegnung im klassischen Sinne. 

Die Berührung sollte so durchgeführt werden, wie wir in dem Moment dachten, dass es dem Partner am meisten gefallen könnte. Was mir dabei aufgefallen ist? Meine komplette Aufmerksamkeit war bei meinem Partner. 

Ich war weniger bei mir, stattdessen mehr darauf fokussiert, meinen Partner in diesem Moment zu „beglücken“ und mir vor allem Zuspruch und Bestätigung über Gestik und Mimik einzuholen. 

Perspektivenwechsel: Gefällt es MIR, wie ich dich berühre? 

Nun sollte die Übung noch einmal durchgeführt werden, aber aus einer neuen Perspektive. Nun bestand der Auftrag darin, die Berührung so durchzuführen, wie sie mir in diesem Moment am besten gefällt und am meisten Lust und Freude schenkt. 

Der Gedanke daran klang im ersten Moment komisch, doch der Unterschied war deutlich:

Die Berührung war anders, sanfter, unüberlegter und intuitiver. Ich habe mich freier gefühlt und entspannter.

Erstaunlicherweise konnte ich mich sehr gut darauf einlassen und alles andere um mich herum ausblenden, ich war nur bei mir und meinem Gefühl. 

Ich war erstaunt, wie sehr dieser Perspektivenwechsel die Art der Berührung beeinflusst. Auch mein Partner hat die Veränderung sofort wahrgenommen. Das schönste aber in diesem Moment war:

Wir haben gelacht, neugierig gelauscht, uns ausgetauscht und unser Empfinden offen miteinander geteilt.

Ich erinnere mich noch, wie unbeschwert der Moment war und wie wir fast vergessen hatten, dass wir mitten in  einem Slow-Sex-Workshop waren. Alles fühlte sich vertraut, aber gleichzeitig auch neu an – ein schönes Gefühl.

Feste Termine für Slow Sex?

In den darauf folgenden Übungen sollte das Kommunizieren von Wünschen und Grenzen integriert werden. Ein großer Aspekt des Workshops war es, feste Zeiten innerhalb der Woche festzulegen, die man sich für Slow Sex einplanen sollte, um eine feste Routine zu etablieren.

Im ersten Moment konnte ich die Idee gut begreifen, doch in der Praxis ließ sich dieser Ansatz für mich weniger gut umsetzen.

Der Gedanke an einen weiteren “Termin”, den man in der Woche einzuhalten hat, erzeugte in mir mehr Stress als Vorfreude.

Rückblickend kann ich sagen, dass der Workshop für mich und meinen Partner eine interessante Erfahrung war. Egal, wie lange man sich schon kennt: Man lernt sich nochmal von einer Seite kennen. Auch wenn wir heute eher selten konkrete Slow-Sex Verabredungen vereinbaren, die Perspektive hat sich verändert. 

So schön es auch ist , in einem intimen Moment beim Partner zu sein, so aufregend ist es aber auch, mal nur bei sich und dem eigenen Gefühl zu sein.

Ich für meinen Teil habe gelernt: Sex kann auch mal ganz anders sein als gewohnt. 


Weitere Informationen zum Konzept und Angebot von Achtsam Lieben gibt es auf der Website . Neben Seminaren, Workshops und Retreats haben Angela und Christoph ihr Wissen in dem Buch „Achtsam Lieben – Eine sexuelle Entdeckungsreise für mehr Sinnlichkeit, Intimität und Nähe“ aufgeschrieben – als Inspiration und Anleitung für den Weg in die achtsame Sexualität.  

Titelbild @ Thought Catalog via Unsplash

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