Es ist so eine Sache, die Entscheidung festangestellt und mit viel Sicherheit zu arbeiten oder wie ein Vogel so frei mit vielen Unsicherheiten. Bist du lieber dein eigener Herr und kannst du es aushalten, wenn es mal nicht so läuft oder fühlst du dich im Team und als Angestellte einfach wohler? Wir haben die selbstständige Autorin und Kreativdirektorin Marion Müller gefragt. Hier ist ihre Antwort.
Nichts ist sicher
„Ach was … ja tollllll …!! (lange Pause) … aber ist es denn sicher, dass du dann auch gebucht wirst?“
Das war die Reaktion meiner Mutter auf die frohe Botschaft, dass ich bei meiner letzten Agentur gekündigt hatte und mich zukünftig als Freelancer auf den Markt werfen wolle. Die Frage war ziemlich nachvollziehbar (Mütter wollen ihre Brut in Sicherheit wissen) – und dann auch wieder nicht. Denn: Ich komme aus einer kleinen Unternehmerfamilie. Und wenn man eines irgendwann mal weiß: nichts ist sicher.
Egal, wie gut man performt, der Markt ist so volatil und unberechenbar wie das Leben. Mal Zuckerbrot, mal Zicke. Und doofer Weise sprechen sich potentielle Auftraggeber auch nicht ordentlich untereinander ab. Mal kommen fünf Anfragen auf einmal. Für jetzt gleich – nachdem man eine Woche rumgelungert und alle Folgen von „Damengambit“, „The Handmade´s Tale“ und „Fran Leibowitz“ durchgebingt und den Balkon neu bepflanzt hat.
Seit 15 Jahren Freiwild
Heißt das jetzt, dass es grundsätzlich besser wäre in einer Festanstellung zu sein? Ehrlich, ich glaube, da gibt´s kein richtig und kein falsch, kein besser oder schlechter. Oder das ultimative Prinzip zum glücklich sein. Das ist eine Typ-Frage, eine Lebensumstands-Frage. Und eine „Wie bin ich sozialisiert“-Frage. Oder auch eine: „Wieviel Sicherheit oder Freiheit brauche ich, um mich wohl zu fühlen?“-Frage. Um einfach mal ein paar zu nennen.
Ich bin jetzt seit 15 Jahren Freiwild – und war davor ca. zehn Jahre in wechselnden Festanstellungen. Und hab da das volle Programm an Freud und Leid mitbekommen: einerseits Sicherheit und Struktur, feste Teams, jeden Monat wissen, was reinkommt, auch mal einen Job verkacken, ohne dass gleich was passiert. Aber auch: die Eintönigkeit vom Tagesgeschäft (die man sich manchmal als Freelancer zurückwünscht). Eingefahrene Strukturen. Oder bei coolen Jobs oder Beförderungen übergangen zu werden. Was nicht unbedingt etwas mit mieser Performance zu tun hat, sondern damit, dass die Kommunikationsbranche ein Thema mit Frauen in Führungspositionen hat. Ich habe jede Menge unfassbar talentierter Freundinnen, die darüber unglaublich deprimierende Stories erzählen könnten. Auch 2021 noch. Aber hey, Silberstreifen am Horizont sind zu erkennen. Und darüber freu ich mir ein Wölfchen.
Einfach kein Bock mehr
Anyway, Fakt ist: genau darauf hatte ich irgendwann keine Böcke mehr. Ich wollte nicht mehr kämpfen für etwas, dass ich zutiefst verdient hatte. Ich wollte, dass man erkennt und wertschätzt, was ich kann und was ich leiste, ohne das ständig irgendwo platzieren zu müssen. Was im Übrigen ein totaler Abturner ist. Es gibt immer noch Menschen, die das tun. Und wenn das passiert würde ich mich am liebsten vor lauter Fremdschämen in den nächsten Konfi-Mülleimer übergeben. Diese Denke: Ich mach mich groß, damit alle sehen, wie groß ich bin, hab ich irgendwie noch nie verstanden. Ist aber vielleicht auch nur meins. Und diese ständigen Meetings und Besprechungen. Muoaaaah. Wie man sieht: ein paar Skills, die gut und wichtig für das Überleben oder eine Karriere in einer Festanstellung sind, sind bei mir eher rudimentär vorhanden.
Mir war und sind meine Freiheit und Inhalte wichtiger als irgendein Titel. Und sei´s nur für ein theoretisches Momentum jederzeit sagen oder auch nur denken zu können: „Den Zirkus könnt ihr mal schön ohne mich weitermachen.“
Marion Müller
Was will ich und was nicht?
Ich hatte keine Kinder, kein Haus abzubezahlen und somit den riesigen Luxus, mir frei darüber Gedanken machen zu können: was will ich, was will ich nicht – und wie funktioniere ich am besten? Die einzige und wichtigste Verpflichtung, die ich hatte und habe, ist die mir selbst gegenüber. Diese Verantwortung kann auch, finde ich, kein Arbeitgeber übernehmen, da muss man selbst ran. Und ich kann jedem, ob frei oder festangestellt, ans Herz legen, das mal ehrlich zu tun. Das ist entlarvend und sehr heilsam. Und auch, wenn man vom Typ her Sicherheit und Struktur braucht: Es gibt garantiert irgendwo einen Arbeitgeber, mit dem es gut passt.
Als ich das übrigens wusste und für mich klar definiert hatte, passierte etwas Spannendes: Ich bekam in meinen Freelancer-Buchungen plötzlich und ohne Anstrengung alles auf dem Silbertablett serviert: spannende Jobs, Wertschätzung, eigenverantwortliches Arbeiten, Shootings, Teamverantwortung, Tapetenwechsel, das Arbeiten mit unterschiedlichsten, großartigen Leuten – you name it.
Und manchmal, wenn ein Auftraggeber denkt, das passt doch so gut, wir könnten doch … also vielleicht so für länger und fest. Dann freu ich mich mega über die Wertschätzung und das Angebot und sage: „Ihr bekommt frei das Allerbeste von mir, das ihr bekommen könnt. Mit ultimativer Motivation und Top-Laune. Ich an Eurer Stelle würde das nehmen.“
Titelbild @ Haydon Curteis Lateo via Unsplash
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