Dr. Nora-Corina Jacob ist Coach, Workshop-Moderatorin, Autorin und zweifache Mama. Wir wollten von ihr wissen, wie das Auftanken gelingen kann, was es wirklich braucht und wie wichtig die eigene Reflexion ist?
Ich wollte diesen Artikel eigentlich ganz anders anfangen. Mit dem, was recharge bedeutet, was Stress ist und mit praktischen Tipps, wie wir einen Ausgleich dazu finden können. Und dann habe ich mit einem ehrlichen Blick auf mich selbst geschaut – als frische Mama von zwei kleinen Kindern – und festgestellt, dass ich genau das gerade brauche: recharge.
In erster Linie durch Schlaf, ein paar erholsame Stunden Schlaf, ununterbrochen und frei von Gedanken daran, was ich noch alles tun sollte und könnte und wollte. Und dann habe ich auf einer Zugfahrt einfach mein Kind gekuschelt und aus dem Fenster gestarrt, lange heraus gestarrt. Ich habe mir die Wolken und Bäume angesehen.
Zuerst war ich auf der Suche nach Mustern am Himmel. Habe mir vorgestellt wie es wäre, mich in eine riesige Wolke aus weichster Watte fallen zu lassen. Und dann habe ich irgendwann einfach nur heraus geschaut, ohne Suche, ohne Gedanken. Einfach mit Nichtstun heraus geschaut. Ich habe mir die Chance gegeben, mich mal einen Moment lang zu langweilen. Und das war ganz herrlich und aufladend.
Und so wollte ich diesen Artikel eigentlich beginnen:
Unser Handy laden wir regelmäßig auf, das Auto wird aufgetankt, aber wie sieht es eigentlich mit dir selbst aus? Wann nimmst du dir Zeit, um dich persönlich aufzutanken? Und wie gut und lange hält die Wirkung an? In Balance zu kommen und zu bleiben ist gar nicht so einfach.
Das sehen wir an ganz vielen Stellen: Stress und Burnout sind immer noch weit verbreitet, auch wenn das Wort Resilienz – quasi als Gegenwind – inzwischen jedem bekannt ist. Psychische Erkrankungen sind weiterhin auf dem Vormarsch. Und die Vereinbarkeit von z.B. Beruf und Familie vielerorts einfach nur ein Lippenbekenntnis womit man dann doch alleine jonglierend fertig werden muss.
Immer noch drin im Hamsterrad
Schon 2005 sagte Carl Honoré in seinem TED-Talk, dass wir in einer Welt leben, die „besessen [ist] von Schnelligkeit und besessen davon, alles schneller zu tun und immer mehr in immer weniger Zeit zu quetschen. Jeder Augenblick am Tag ist wie ein Wettlauf gegen die Zeit“. Und auch 18 Jahre später sind wir aus diesem Hamsterrad kaum ausgestiegen.
Natürlich gibt es Gegenbewegungen, Bewegungen für slow food, für Waldbaden und vor allem der Trend zur mehr Achtsamkeit ist momentan sehr präsent. Aber tun wir das, um in eine echte Balance zu kommen oder nur, um die Schnelligkeit irgendwie ertragen zu können?
Ist der Urlaub, den wir nehmen mit echter Erholung verbunden oder nur eine Notfall-Maßnahme zur Abwendung von Erschöpfung? Oder sogar eine Zeit, in der wir möglichst viel in kurzer Zeit sehen, erleben und auf sozialen Medien mit anderen teilen wollen?
Stressphasen reflektieren
Wenn wir also über das Auftanken oder recharging sprechen, dann müssen wir in erster Linie hinterfragen, inwiefern es uns bereits gelingt oder eben nicht, und woran das liegen kann. Das können wir beispielsweise tun, indem wir vergangene Stressphasen einmal Revue passieren lassen und reflektieren.
Denn wenn wir mittendrin stecken im Stress und einfach nur noch funktionieren, bemerken wir oft gar nicht die vielen kleinen Signale, die uns unser Körper sendet, um zu sagen „Es ist mir zu viel“. Im Nachhinein, mit etwas Abstand, erscheint es oft leichter zu reflektieren, ab wann es zu viel war und was uns so sehr gestresst hat, uns so viel Energie geraubt hat. Daraus können wir für die Zukunft lernen.
Als Übung empfehle ich dir deshalb in einem Zustand der Entspannung zu reflektieren und dir folgende Fragen zu stellen:
- Was raubt mir Energie?
- Was sind Signale meines Körpers?
- Wie kann ich in Zukunft besser darauf hören, wenn mein Körper mir mitteilen will, es ist zu viel?
Wenn wir über recharche sprechen, müssen wir zwangsläufig auch über Stress reden, denn genau der verlangt uns schließlich so viel Energie ab, dass wir wieder aufladen müssen. Sehr wichtig zu wissen ist, dass Stress auf der persönlichen Einschätzung von Anforderungen und den eigenen Fähigkeiten beruht. Das bedeutet, es kommt nicht darauf an, ob eine Situation von außen oder von anderen betrachtet eine Überforderung darstellt.
Was ist Stress?
Entscheidend ist allein, wie du die Situation erlebst und interpretierst. Stress liegt demnach vor, wenn Anforderungen von außen oder innen die Reaktionsmöglichkeiten einer Person beanspruchen oder übersteigen.
Wenn wir Stress erleben ist der Teil unseres Nervensystems aktiviert, der sich Sympathikus nennt und bekannt ist als Fight-or-Fight-System. Der Gegenspieler, Parasympathikus steht für das Rest-and-Digest System. Oftmals sind wir nicht in Balance und gönnen uns zu wenig Zeit für Ruhe und Verdauung, sprich recharge.
Wie wir Stress am besten abbauen und was uns hilft, uns wieder „aufgetankt“ zu fühlen, das ist sehr individuell. Für die eine ist es Yoga, die andere bekommt beim Joggen den Kopf frei, wiederum andere entspannen und tanken beim Kochen wieder auf oder beim Spazierengehen in der Natur.
Wie gut kennst du dich selbst?
Je besser du dich also kennst und durch achtsames Beobachten immer wieder kennenlernst, desto leichter wird es dir fallen, durch den für dich „richtigen“ Ausgleich wieder in die Balance zu kommen. Wichtig ist bei jeder Form von Ausgleich, dass du ein anderes Mindset an den Tag legst, als du es gewöhnlich z.B. bei der Arbeit hast – soll heißen:
„Ausgleich darf kein weiterer Punkt auf deiner To Do-Liste werden und auch nicht mit Leistungsdruck verbunden sein.„
Wenn du also Joggen gehst, dann laufe einfach, ohne deine Zeit oder Strecke zu tracken. Wenn du kochst, dann mache es genussvoll und für dich, anstatt ein perfektes Dinner für die Schwiegereltern daraus zu machen. Wenn du zum Yoga gehst, dann sei ganz bei dir, statt dich mit anderen im Raum zu vergleichen.
Reflektiere also für dich: Was hat mir früher Spaß gemacht und Ausgleich geschenkt? Was gibt mir im Alltag Energie? Wo kann ich jeden Tag im Kleinen auftanken?
Die Balance im Blick
Anstatt immer über den nächsten Schritt nachzudenken, sich gehetzt zu fühlen vom inneren und äußeren Druck, sollten wir stets die Balance im Blick haben und durch Achtsamkeit ins „Hier und Jetzt“ zurückkehren. Der rote Faden für Ausgleich und recharge könnte zusammengefasst werden als:
„Komme immer wieder im Moment an, halte inne und genieße ihn!“
Über Dr. Nora-Corina Jacob:
Dr. Nora-Corina Jacob ist Psychologin und unter anderem als Coach, Workshop-Moderatorin und Autorin tätig. In ihrem Podcast „creativity x you“ spricht sie über Kreativität und Positive Psychologie. Außerdem ist sie Yoga- und Mediationslehrerin. Bei Insight Timer gibt es eine „recharge“-Meditation, die du dir kostenfrei anhören kannst.
Titelbild © by Dr. Nora-Corina Jacob
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