Anne Otto über Glaubenssätze

Interview mit Anne Otto: Wie beeinflussen Glaubenssätze unsere Persönlichkeit?

Wunderst du dich auch manchmal, warum du ein ganz anderes Bild von dir selbst hast als andere? Oft stecken innere Überzeugungen dahinter, die wir schon lange in uns tragen. Im Interview mit der Psychologin Anne Otto gehen wir ihnen auf den Grund.

„Ich bin zu schüchtern, um mich selbstständig zu machen.“ „Zum Studieren bin ich nicht schlau genug.“ „Etwas gönnen darf ich mir nur, wenn ich es mir vorher auch verdient habe.“ Solche und ähnliche Sätze sagen wir uns gern immer wieder selbst. Damit hindern wir uns oftmals daran, echte Erfahrungen zu machen und uns selbst neu kennenzulernen. Die Psychologin und Autorin Anne Otto hat uns im Interview verraten, was es mit derartigen Glaubenssätzen auf sich hat und wie wir am besten mit ihnen umgehen.

Liebe Anne, was versteht man eigentlich unter Glaubenssätzen?

Ursprünglich stammt der Begriff aus dem Neuro-Linguistischen Programmieren, kurz NLP. Man geht in diesem Modell davon aus, dass wir im Laufe unseres Lebens innere Überzeugungen erworben haben, die unsere Wahrnehmung und unser Handeln prägen und so Erfolg und Misserfolg steuern können. Im NLP setzt man dem negativen Glaubenssatz dann einen positiven entgegen und programmiert sich so quasi um. In meinen Augen greift diese recht schematische Herangehensweise etwas zu kurz. Ich würde Glaubensätze weiter fassen: Sie sind Ausdruck von Einstellungen und internalisierte Überzeugungen, die Selbstbild, Handlungsspielraum und Weltbild prägen.

Wie und wann entstehen derartige Glaubenssätze?

Internalisierte Überzeugungen, wie ich sie eben beschrieben habe, entstehen wahrscheinlich schon in der Kindheit. Zum einen sind es oft Zuschreibungen, die andere uns gegeben haben, zum Beispiel „Du bist immer so fröhlich“, „Du hast zwei linke Hände“ oder „Du musst stark sein, auch für Mami mit“. Dabei spielt auch die Familiensituation eine Rolle. Kinder nehmen häufig unbewusst die Eltern als Vorbilder und schauen sich ab, wie diese die Welt sehen. Sind sie zum Beispiel überzeugt, dass man niemandem vertrauen darf oder hart arbeiten muss, um irgendwas zu erreichen? Das sind alles Quellen für Glaubenssätze, die uns ein Leben lang begleiten.

Zum anderen können solche inneren Überzeugungen aber auch Überlebensstrategien in der Kindheit gewesen sein. Wenn man schon als Kind meint, keine Liebe verdient zu haben oder stark sein zu müssen, sind das oft Reaktionsmuster auf Schwierigkeiten, die es im Elternhaus gab. Hier kann es helfen zu hinterfragen, was eigentlich hinter diesem Überlebensmuster steckte: Inwiefern hat es mir damals geholfen, so über mich zu denken? Warum war das in meiner Familie so wichtig?

Inwiefern können uns Glaubenssätze im späteren Leben hinderlich werden?

Glaubenssätze können sowohl positiv als auch negativ wirken. Es gibt Glaubenssätze wie „Ich bin stark“ oder „Mir gelingt vieles“, aber eben auch solche wie „Ich verdiene keine Liebe“ oder „Ich bin nicht wichtig“. Beide Arten von Glaubenssätzen können hinderlich werden, wenn sie zu starr sind. Deshalb ist es wichtig, gut hinzuhören und wahrzunehmen, dass es da durchaus unterschiedliche Stimmen gibt. In uns herrscht ein permanenter innerer Monolog. Steven C. Hayes, der Erfinder der Akzeptanz- und Commitment-Therapie, spricht von der „inneren Wortmaschine“, die unaufhörlich Kommentare und Bewertungen ausspuckt.

Kannst du dafür ein Beispiel nennen?

Es kann beispielsweise sein, dass man bei der Arbeit vor einer neuen Aufgabe steht und denkt, man müsse sie perfekt bewältigen. Damit setzt man sich sehr unter Druck. Wenn man dann in sich hineinhorcht, nimmt man aber vielleicht noch andere Stimmen wahr, etwa „Ich habe richtig Lust auf das Projekt“ oder „Ich könnte die Sache auch spielerisch angehen“. Diese Stimmen bewusst wahrzunehmen, macht es meist einfacher. Es geht also darum, den inneren Monolog wahrzunehmen und zu schauen, ob da eine Stimme sehr dominant ist. Zu erkennen, welche Sätze in mir herumspuken und meinen Handlungsspielraum bestimmen – das ist die Voraussetzung dafür, etwas daran zu verändern. Schwierig wird es hingegen immer, wenn wir unsere Glaubenssätze gar nicht als solche bemerken.

Hast du Tipps für uns, wie man Glaubenssätze entlarven kann?

Dominante Glaubenssätze, die im Moment gerade eine Rolle spielen, kann man gut erkennen, indem man so einen inneren Monolog einfach mal aufschreibt. Was melden sich da in mir eigentlich alles für Stimmen zu einem bestimmten Thema, zum Beispiel zu einer neuen Beziehung oder einem Jobprojekt? Durch das Aufschreiben bemerkt man leichter, was sich da vielleicht gerade für Sätze mehren.

Eine weitere Möglichkeit ist, sich Wünsche oder neue Überzeugungen von sich selbst aufzuschreiben, zum Beispiel „Ich bin liebenswert, so wie ich bin“ oder „Ich darf gut zu mir sein, ohne dafür etwas zu leisten“. Wenn man so einen Satz zehnmal hintereinander aufschreibt und dabei genau wahrnimmt, was für Gedanken aufkommen, kann man negative Glaubenssätze sehr gut aufspüren. Oft meldet sich nämlich im Inneren sofort die Widerrede: „Nein, das steht dir nicht zu“ oder „Nein, du darfst dir das nicht gönnen“. Und dann kann man sich die Frage stellen: Woher kommt denn eigentlich dieses Selbstbild, woher kommen diese negativen Überzeugungen, die ich habe? So erkennt man oft, was dahintersteckt.

Mein wichtigster Tipp lautet also, sich Stift und Papier zur Hand zu nehmen und all die Stimmen und Gedanken aufzuschreiben, vielleicht auch regelmäßig – das kann sehr helfen, Klarheit zu gewinnen und auf Basis dieser Klarheit auch Dinge zu verändern.

Können wir auf diese Weise auch unsere Persönlichkeit verändern?

Ich würde eher dazu anregen, die Suche nach der Persönlichkeit ein wenig ruhen zu lassen, und stattdessen zu überlegen, was verschiedene Aspekte sind, die mich ausmachen oder die mir wichtig sind. Was sind Dinge, die mir am Herzen liegen, die ich machen möchte? Mit diesem Wissen kann ich mich dann ein bisschen mehr auf die Handlungsebene begeben: Bisher habe ich von mir gedacht, ich sei nicht stark oder liebenswert. Aber was würde ich denn tun, wenn ich stärker wäre? Was würde ich tun, wenn ich mich selbst liebenswerter fände? Mein Vorschlag wäre, zu schauen, was einem zu diesen Fragen einfällt, und diese Dinge dann auch umzusetzen.

Warum rede ich jetzt über Handlungen und nicht über die Persönlichkeit? Das hat damit zu tun, dass wir uns mit unseren Handlungen verändern. Wir verändern uns mit den Aspekten, die wir im Tun verstärken. Das ist eine Möglichkeit, Abstand zu finden von Glaubenssätzen. Wenn ich hingegen einem negativen Glaubenssatz einfach einen positiven gegenüberstelle, ihn aber nur ausspreche und wiederhole, dann bringt das nicht viel. Wichtig ist, das Neue im Leben zu verankern, die Dinge also zu tun.

Lassen sich Glaubenssätze dann auflösen?

Es gibt heute neuropsychologische Erkenntnisse, dass dieser Versuch ein ziemlich sinnloses Unterfangen ist. Es hat sich gezeigt, dass sich bestimmte Gedankenmuster nicht einfach löschen oder überscheiben lassen, sondern dass man sich Alternativen dazu überlegen muss. Es geht also eher darum, die alten Glaubenssätze ruhen zu lassen und neue zu entwickeln beziehungsweise neue Aspekte von sich selbst zu entdecken, die man quasi zu den bestehenden Überzeugungen addiert. Dazu passt auch die Idee, das auf der Handlungsebene zu lösen.

Wenn ich merke, dass bestimmte Glaubenssätze immer wieder in mir herumspuken, kann ich sie aber auch für mich selbst ganz logisch entkräften, indem ich mir vor Augen führe, was ich schon alles geschafft habe im Leben, was ich alles kann, und wo der Glaubenssatz einfach nicht stimmt. Und ein letzter, sehr praktischer Tipp: Ich kann auch Menschen in meinem Umfeld fragen. Findest du mich wertvoll? Was ist an mir stark? Die Interaktion mit anderen zu suchen, kann uns ein ganzes Stück weiterbringen.

Über Anne Otto:

Anne Otto  ist Diplom-Psychologin und zertifizierte Psychodramatherapeutin. Nach ihrem Studium hat sie fünf Jahre als Psychologin in verschiedenen Einrichungen gearbeitet,. 2002 wechselte sie in die Selbstständigkeit und ist seitdem hauptberuflich als Journalistin, Autorin und psychologische Beraterin tätig. Zuletzt veröffentlichte Anne Otto zusammen mit Verena Carl das Buch „Ich bin dann mal bei mir. 12 Auszeiten für die Seele “, in dem sie die Autorin auf einem Weg zu mehr Selbstfürsorge im Alltag begleitet.


Titelbild Anne Otto @ Silje Paul
Bild Blumen @ Annie Spratt via Unsplash

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Kategorien Life

Catrin Meyer ist freiberufliche Texterin in Hamburg. Wenn sie nicht gerade in der Welt der Buchstaben unterwegs ist, radelt sie bei Wind und Wetter durch Hamburg und übt sich unbeirrt in Achtsamkeit.

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