Kolumne #embracethechaos von SImone über die Entschuldigung

Kolumne #embracethechaos Entschuldigung, ich war kurz weg und habe Einkaufswagen verschoben.

Simone fragt sich in der aktuellen Kolumne, woher ihr inflationäres Entschuldigen kommt. Dabei wäre ein Händereichen, sich selbst und anderen gegenüber, besser als das Aufladen unnötiger Schuld.

„Entschuldigung, ich habe ihren Wagen da einfach nach hinten geschoben“, sagte ich zu dem fremden Mann und quetschte mich zu den Kiwis durch, die ich für den Obst-Gemüse-Tag in der Kita meines Sohnes besorgen musste.

„Ne, dafür brauchen sie sich nicht entschuldigen. Das ist ja nicht mal mein Wagen, den habe ich mir ja nur vom Supermarkt geliehen.“

Was für eine schlaue Antwort, dachte ich. Ich ging weiter und dachte darüber nach, welche Rolle das Wort „Entschuldigung“ gerade in meinem Leben spielt. Wir begegneten einander erneut am nächsten Regal und fast hätte es eine weitere Situation gegeben, in der ich Entschuldigung gesagt hätte.

Er zwinkerte kurz und fast war es, als könnte ich in seinen Augen lesen: Jetzt hören Sie mal auf, sich zu entschuldigen. 

Warum entschuldige ich mich in letzter Zeit so oft? 

Ist es meine Unsicherheit, die sich in jeder erdenklichen Situation zeigt? Ist es das Gefühl, alles wieder gut machen zu wollen? Schnell ein Pflaster drüber, damit die Wunde nicht aufklafft? Am besten zunähen, bitte. 

Empfinde ich mich so sehr als wandelnde Unzumutbarkeit, dass ich mich dauernd entschuldigen muss? In mir gibt es eine Bandbreite an Emotionen, die Traurigkeit ist eine davon. Wenn sie kommt, dann mit voller Wucht und weil ich weiß, dass Menschen nicht gerne traurig sind, entschuldige ich mich dafür. 

Das Kind hat einen Wutanfall. Ich schaffe es, 8x die Nerven zu behalten, beim neunten Mal breche ich. Zurück in alte Muster. Ich sage und tue Dinge, die der Situation nicht zuträglich sind. Danach entschuldige ich mich. In der letzten Zeit sehr oft.

Ich entschuldige mich für mein ständiges Weinen, meine Ungeduld und meine Zerstreutheit. Am Ende schreibe ich mit dem Kind eine Liste mit Dingen, was wir beim nächsten Mal besser machen können. Sie hängt am Kühlschrank, ich lese sie jeden Tag. 

Ich bin in einem neuen Job und versuche viele neue Dinge zu verstehen. Ich sage sehr oft: „Entschuldigung, könntest du das nochmal erklären?“ oder „Entschuldigung, könntest du mir nochmal sagen, wo das Dokument abliegt?“ Und dann habe ich mich bei einigen Leuten noch nicht vorgestellt, weil vorstellen manchmal anstrengend ist und Small Talk die Energie zieht. Entschuldigung, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt, ich bin Simone, die Neue. 

Ich entschuldige mich bei mir selbst …

dass ich Zigaretten rauche und ungesund esse. Dass ich mein Leben gerade nur bedingt im Griff habe und dass der Glaube an viele Dinge, die mir sonst geholfen haben, nur bedingt da ist. But what the fuck – es ist noch keine Meisterin vom Himmel gefallen, oder? 

Magazin E-Mails rutschen mir durch. „Entschuldigung, dass sie so lange auf meine Antwort warten mussten.“ Sabine wartet auf meine Texte. Die Kolumne hat pausiert – noch bevor ich sie niedergeschrieben habe, entschuldige ich mich bei Sabine: „Entschuldigung, ich glaube, die Kolumne wird dieses Mal nicht witzig.“

Dabei hat niemand gesagt, dass sie witzig sein muss. Es gab auch keine Kommentare von Leser:innen, dass sie nur gelesen wird, weil sie witzig ist.

Bei meinen Freund:innen und meiner Schwester habe ich das Gefühl, mich pausenlos entschuldigen zu müssen, dafür dass ich sie so in Beschlag nehme, dafür, dass sie mit mir weinen, dass sie mit mir wütend sind und alles tun, dass es mir besser geht. 

Entschuldigung, dass es gerade so schwer mit mir ist…

liegt da zwischen den Zeilen. Dabei vermittelt man sich selbst mit jeder Entschuldigung, dass das eigene Verhalten oder noch schlimmer, die eigenen Gefühle falsch sind. Aber sind sie das wirklich? Wenn wir vermittelt bekommen, dass die eigenen Gefühle falsch sind, dann trauen wir uns selbst nicht mehr richtig. 

Aber wofür entschuldige ich mich da eigentlich? Die Funktion einer jeden Entschuldigung ist es, zu vermitteln. Eine Entschuldigung sagt, ich versetze mich in dich hinein. Ich spüre, dass ich etwas getan habe, was dich verletzt oder gekränkt hat.

Viele Entschuldigungen, die ich nutze, haben gar nichts mit einer Kränkung zu tun. Ich entschuldige mich eher für meine Situation und dafür, dass ich gerade nichts zu geben habe, dass man von mir nicht viel erwarten kann. Entschuldigung, I’m a mess.

Und es geht um Schuld. 

Wer hat Schuld? Ich oder das Gegenüber? Und was passiert, wenn einer sich keiner Schuld bewusst ist, schwappt die Schuld dann auf den anderen über? Hängt die Schuld über mir, weil Menschen aus meiner Vergangenheit oder meiner Gegenwart sie nicht angenommen haben?

Ist es so wie mit den kreativen Ideen aus Elizabteh Gilberts Buch Big Magic, die, wenn man sie nicht umsetzt und beim Schopfe packt, zum nächsten wandert? Schwirrt Schuld umher und sucht den nächst Schwächeren?

Es gab mal eine Situation, da wollte ich, dass sich das Kind bei einem anderen Jungen entschuldigt. Dabei war gar nicht klar, ob mein Sohn wirklich schuld war. Ich habe dennoch auf eine Entschuldigung gepocht, weil ich wollte, dass wir, ich und mein Sohn, vor der anderen Mutter gut dastehen. Danach sagte mir jemand, dass man sich nicht für alles entschuldigen müsse. Ich habe sehr lange darüber nachgedacht. Und ich lernte, dass Kinder sich eher die Hand geben sollen, um sich wieder zu vertragen, statt sich selbst eine Schuld aufzuladen.

Ich glaube, ich warte auf eine Entschuldigung, auf eine große und weil sie nicht kommt und auch nicht kommen wird, entschuldige ich mich einfach stellvertretend für alles andere.

Für mich selbst. Aber vielleicht höre ich ab jetzt damit auf, denn mit Schuld lebt und schreibt es sich nicht so gut. 

Ich reiche euch also lieber die Hand und sage: Die Kolumne ist wieder da und sie geht weiter. Und lustig wirds irgendwann auch wieder.

Eure Simone

Titelbild @ Anna-Lena Duschl

Kategorien Kolumne

Simone ist Mama eines kleinen Jungen, leidenschaftliche Yoga- und Meditationslehrerin, Podcast-Gastgeberin, freie Autorin und PR-Beraterin und ihre große Liebe ist das Schreiben. Sie ist verantwortlich für alle Inhalte und Texte bei PersonalityMag.

1 Kommentar zu “Kolumne #embracethechaos Entschuldigung, ich war kurz weg und habe Einkaufswagen verschoben.

  1. Was für eine schöne Kolumne. Ich entschuldige mich auch ständig und bei jedem 🙄. Was für ein Quatsch. Schön, dass dich Menschen tragen. Und ja, es wird wieder besser, diese Wut und Traurigkeit, irgendwann. Und dann ist man stolz auf sich, durch dieses Tief gekommen zu sein. Liebe Grüße und fühl dich umarmt.

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